Ulis Culinaria

Hubertus von Lüttich

*~655 Toulouse, †727 Tervuren

Obwohl wir Menschen schon vor Tausenden von Jahren begonnen haben, Tiere zu domestizieren und auch als Fleischlieferanten zu nutzen, war noch vor wenigen Jahrhunderten die Jagd eine der wichtigsten Quellen für das Nahrungsmittel Fleisch. In der arbeitsteiligen Götterwelt der griechischen und römischen Antike waren für das Ressort Jagdglück die Göttinnen →Artemis bzw. Diana zuständig. Mit der Ausbreitung der römischen Kultur bis nach Nordeuropa mussten die alten germanischen, keltischen und andere Gottheiten weichen, und Diana und ihre Kolleginnen und Kollegen traten an ihre Stelle.

Und sehr häufig vermischten sich die alten und neuen religiösen Vorstellungen. Das war auch nicht anders, als später die römische Götterwelt wiederum dem monotheistischen Christentum Platz machen musste. Allerdings fiel nun die so praktische Ressortaufteilung weg, bei der die Menschen genau wussten, an welche Göttin, an welchen Gott sie sich bei Wohl und Wehe, bei Erfolg und Misserfolg in den unterschiedlichsten Lebenslagen zu wenden hatten.

Jagdglück und ...

Diana-Statue, Versailles

Artemis →Diana →Sankt Hubertus

Da waren außergewöhnliche, aber eben sterbliche Vertreterinnen und Vertreter des christlichen Glaubens hilfreich, die sich zu Lebzeiten durch besonders vorbildhaftes Verhalten in bestimmten Situationen hervorgetan hatten und die man deshalb nach ihrem Ableben zu Heiligen erklärte. Natürlich wurden auch für den elemantaren Bereich der Ernährung Zuständigkeiten verteilt. So wurde der Heilige Honoratius für alle Belange bei der Herstellung des täglichen Brotes verantwortlich gemacht.

Das Ressort von Ceres, Ackerbau und Viehzucht, teilte man, je nach geografischer oder konfessioneller Vorliebe, auf mehrere Heilige auf. Ambrosius gilt vielen Landwirten als General-Patron. →Petrus beispielsweise, den Jesus vom Fischerboot weg in seine Gefolgschaft berief, wurde zum Schutzheiligen der Fischerei, und dem Heiligen →Martin von Tours zu Ehren brät man bis heute die Martinsgans. Die Liste kann noch um einige Verantwortliche ergänzt werden …

Und wegen eines besonderen Jagderlebnisses, bei dem er zum Christentum bekehrt wurde, nahm der französische Adlige Hubert quasi die Position der Diana ein. Sein Name ist wahrscheinlich abgeleitet vom Adelsgeschlecht der Hugobertiner, dem er entstammte.

Wie die meisten anderen Heiligen der römisch-katholischen Kirche erhielt auch Hubert seine Sonderstellung aufgrund einer Legende.

... Jagd nach Glück

Und so soll es sich zugetragen haben:

Ausgerechnet an einem Karfreitag, dem höchsten kirchlichen Feiertag, gelüstete es Hubert, auf die Jagd zu gehen. Im Wald erspähte er einen kapitalen weißen Hirsch, der zwischen den ausladenden Gabeln seines prächtigen Geweihs ein leuchtendes Kruzifix trug. Stundenlang verfolgte er das sonderbare Tier, ohne ihm jedoch näher kommen zu können. Endlich blieb der Hirsch stehen, wandte sich ihm zu, und eine himmlische Stimme gab dem Jäger zu verstehen, dass sein bisheriges Streben nach irdischem Glück ebenso erfolglos sei wie die Jagd nach dieser unerreichbaren Beute.

Der bestürzte Hubert nahm diese Botschaft als Auftrag an, fortan sein Leben der Verbreitung des Christentums als einzig heilsbringendem Glauben zu widmen.

Historisch belegt ist, dass Hubert dem Hofstaat des Merowingerkönigs Theoderich III. in Paris angehörte und sich, nachdem er Witwer geworden war, in eine Einsiedelei in den Ardennen zurückzog. Dort, im heutigen Grenzgebiet von Frankreich, Belgien, Luxemburg und Deutschland, widmete er sich der christlichen Missionierung der Menschen, die noch weitgehend in der altnordisch-römischen Mischreligion lebten. Später wurde er zum Bischof ernannt, ab 716 residierte er in Lüttich. Seitdem nannte man ihn Hubert de Liège. Wegen seiner Wohltaten wurde er bereits am 3. November 743, also nur 16 Jahre nach seinem Tod, heiliggesprochen, als man seine sterblichen Überreste zur Reliquie erklärte. Lüttich machte, nun mit der kirchenlateinischen Endung, Hubertus zum Stadtpatron.

80 Jahre danach wurden seine Gebeine in einen kleinen Ort in den belgischen Ardennen überführt, also in sein früheres Missionsgebiet. Das heutige Städtchen nennt sich Saint-Hubert und preist sich als Wallfahrtsort und als europäische Hauptstadt für Jagd und Naturschutz. Und das Ortswappen ziert eben jener Hirsch mit dem Kreuz im Geweih, der Hubertus bei der legendären Jagd erschienen sein soll.

Fahne von Saint-Hubert, Belgien

Nicht nur die Jäger selbst, die man gerne auch als Hubertusjünger bezeichnet, haben Hubertus zu ihrem Schutzheiligen erkoren. Auch Metzger, Kürschner, Büchsenmacher und andere Berufe, die indirekt mit der Jagd zu tun haben, bitten den Heiligen um Beistand. Züchtern und Haltern von Jagdhunden galt er als Garant gegen die Gefahr der Ansteckung mit Tollwut.

Rembrandt, Mädchen mit Fasanan

... à la Hubert

Die Jagd ist in Zeiten von Massentierhaltung und industrieller Lebensmittelproduktion längst zu einem Randbereich der Nahrungsbeschaffung geschrumpft. Dennoch hat man den Heiligen Hubertus in der Kulinarik nicht ganz vergessen. Wenn traditionell um den 3. November herum, dem Hubertustag, die Hubertusjagden stattfanden, hat man sich natürlich auf allerlei Zubereitungen des erbeuteten Wildbrets gefreut. Und zu Ehren des hilfreichen Schutzpatrons wurde dann die gebratene Keule oder der Rücken vom Reh, das Gulasch vom Wildschwein oder ein anderes Wildgericht mit dem Zusatz à la Saint-Hubert bzw. nach Hubertus-Art aufgetischt.

... nach Hubertus-Art

Auch heute noch findet man derlei Bezeichnungen auf den Speisekarten traditioneller Restaurants, doch nur noch selten bekommt man tatsächlich Wildfleisch. Das, was aus einem panierten Schweineschnitzel, einem Kalbsragout oder einem Rinderbraten dann ein Hubertus-Gericht werden lässt, sind in der Regel reichlich Pilze als Bestandteil der Sauce oder der Beilagen. Aber oft werden dazu nicht einmal Waldpilze wie Pfifferling, Steinpilz oder Maronenröhrling serviert, die man ja noch mit einem typischen Jagdrevier assoziieren könnte, sondern Zuchtchampignons, die nie das Licht der freien Wildbahn gesehen haben. Im schlimmsten Fall kommen sie gar als gummiartige Schnipsel aus der Dunkelheit einer Konservendose. Häufiger als den Namen des Heiligen findet man für solche Gerichte die Bezeichnung nach dem Berufsstand als Jägerschnitzel, Jägerkotelett und ähnliches.

Dabei zählt Wildbret, also das Fleisch von freilebenden jagdbaren Tieren, zum Besten, was man als Fleischliebhaber auf den Tisch bekommen kann. Solange das Reh, der Hirsch, der Fasan oder das Rebhuhn wirklich in freier Wildbahn aufgewachsen ist, ist es garantiert unbelastet von Antibiotika und anderen Arzneistoffen. Die allermeisten Jagdtiere sind reine Pflanzenfresser und bieten eine Menge an Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen, die bei schonender Zubereitung nicht verloren gehen. Viele Forstämter unterhalten eigene Verkaufsstellen für Wildfleisch. Wenn man dort oder beim sprichwörtlichen Metzger des Vertrauens einkauft, kann man sich darauf verlassen, dass die strengen Regeln für die Verarbeitung des Tieres vom Abschuss bis zur Küche des Endverbrauchers eingehalten wurden.

Hirsch-Steak

Wildbret

Keule vom Wildschwein

Wegen der dauernden Bewegung der Tiere in ihrer natürlichen Umgebung ist Wildbret ärmer an Fett. Vor allem so feine Teile wie z.B. ein Rehrücken neigen deshalb dazu, beim Braten trocken zu werden. Dem kann man zunächst vorbeugen, indem man das Fleisch in der Kühlkammer einige Tage reifen lässt. Danach hilft, das Fleisch zu bardieren, also in dünne Scheiben des Specks einzuhüllen, sodass die Ofenhitze nur noch indirekt an den Braten gelangt. Das früher übliche Spicken, das Durchziehen des Fleisches mit Speckstreifen unter Zuhilfenahme der Spicknadel, sollte man besser unterlassen, da jeder Stich Verlust von Fleischsaft bedeutet.  Grundsätzlich gilt, noch mehr als beim Schweine- oder Rindfleisch: Nur so viel und so lange Hitze wie unbedingt nötig!

Der feinschmeckerische Schriftsteller Alexandre →Dumas hat dem Patron des Waidwerks in seinem Grand Dictionnaire de Cuisine immerhin noch ein wirkliches Wildgericht gewidmet. Für das Sanglier à la Saint-Hubert werden gebratene Wildschweinkoteletts mit einer sauce espagnole serviert. Die Basis der spanischen Sauce bildet ein Fond aus Niederwild wie Kaninchen und Rebhühnern. Als Pilze empfiehlt Dumas die edelsten ihrer Art, nämlich truffes noires. Und die schwarze Trüffel findet man tatsächlich nur am Fuß von Waldbäumen! Am ehesten, wenn man einen Trüffelhund dabei hat, dessen feine Nase nicht, wie beim Jagdkollegen, auf die Schweißspur von angeschossenem Wild trainiert ist, sondern auf die feinen Aromen, die der unterirdische Fruchtkörper des tuber melanosporum verströmt.

gesundes Fleisch

Koteletts vom Wildschwein

Auch auf dem Etikett eines bekannten deutschen Kräuterlikörs prangt das Abbild des Hirschs mit dem kreuzgeschmückten Geweih aus der Hubertus-Legende. Der Hersteller wirbt denn auch damit, dass schon seit jeher die Meister der Jägerei mit einem solchen Gebräu auf den Jagderfolg angestoßen hätten – natürlich erst nach der Jagd …!