Ulis Culinaria

Familie Frangipani

seit 950, Rom

Irgendwann anfangs des 8.Jhs. war der Tiber über die Ufer getreten und hatte die Lebensmittelversorgung für Teile der Bevölkerung Roms abgeschnitten. Flavio Anicia, ein wohlhabender Kaufmann aus einer altrömischen Adelsfamilie, lud ein Boot mit Brotlaiben voll und fuhr damit durch die Gassen der ärmeren Viertel. Die Menschen, die er mit seinen Hilfsfahrten vor einer Hungersnot bewahrte, nannten ihn dankbar frangipanem, was nach den lateinischen Begriffen frangere für brechen und panis für Brot seine mildtätige Brotverteilung beschrieb. Obwohl diese Legende historisch nicht belegt ist, wurde der Beiname zum festen Namensteil des Adelsgeschlechtes Anicia, das allerdings bis auf einen kleinen Zweig praktisch nicht mehr existiert.

Brot-Brecher

Crème Frangipane

Dafür lebt der Name in einer süßen Creme weiter, die bis heute zum internationalen Konditorei-Standard zählt: Frangipani-Creme heißt sie hierzulande, italienische pasticciere und französische pâtissiers nennen sie Crema bzw. Crème Frangipane. Der Graf Cesare Frangipani soll das Rezept für die Mandelcreme der Florentinerin Caterina de’Medici zum kulinarischen Geschenk gemacht haben, als diese im Oktober 1533 Henri d’Orléans heiratete, den späteren französischen König Henri II. Das würde jedenfalls erklären, warum die Zubereitung auf den Tafeln des französischen Adels schneller beliebt wurde als in Italien selbst.

Eine andere Legende pflegt man unter den Nonnen und Mönchen des Franziskanerordens: Die um 1190 geborene Römerin Giacoma de’Settesoli wandte sich nach dem frühen Tod ihres Gatten Graziano Frangipane im Jahr 1217 den Franziskanerinnen zu und wurde zur Lieblingsschülerin und Freundin des Ordensgründers Francesco d’Assisi. Wenn sie den poverello, wie der Bettelmönch Franz von Assisi wegen seines Bekenntnisses zur Armut (ital. povertà) genannt wurde, in ihrem Palast empfing, soll sie ihm regelmäßig einen köstlichen Kuchen mit reichlich Mandelcreme gebacken haben. Dem sonst so asketisch-frommen Mann schmeckte der Kuchen so gut, dass man ihn bald auch in anderen Backstuben zubereitete. Und den Hauptbestandteil, die Creme, nannte man nach dem Ehenamen der jungen Frau Frangipani.

Wieder eine andere Geschichte berichtet von einem Spross der Frangipani-Familie namens Mutio, der in den 1490er Jahren als Botaniker die Flora der Antillen-Inseln erforschte und dort eine Pflanze entdeckte, die wegen ihrer hübschen und betörend duftenden Blüten schnell auch in europäischen Gärten beliebt wurde. Nach ihrem Entdecker wurde der Baum Westindische Frangipani getauft. Botanisch heißt er Plumeria alba, wenn er weiße Blüten trägt. Wenn sie rötlich gefärbt sind, handelt es sich um eine zweite Art, die man Plumeria rubra getauft hat. Der erste Namensteil erinnert an den französischen Mönch Charles Plumier, der sich im 17.Jh. einen Namen als Botaniker bei der Erkundung der Flora der Neuen Welt machte.

blühende Mandelsüße

Plumeria rubra

Weil der marzipanartige Duft der Frangipani-Blüten dem Aroma der Mandelcreme ähnelt, habe man den Pflanzen-Namen auf die Creme übertragen. Manche Historiker unterstellen Mutio Frangipani, er habe einen aus irgendwelchen anderen Substanzen komponierten Duftstoff als Plumeria-Essenz ausgegeben, um von der Beliebtheit der exotischen Blüten zu profitieren. Gelegentlich werden deshalb auch Parfümeure aus dem Frangipani-Geschlecht als Namensgeber erwähnt, was aber eher unwahrscheinlich ist. Denn die Blüten-Essenzen von Plumeria-Arten werden zwar in der Parfümherstellung verwendet, nicht jedoch im Lebensmittelsektor.

Für die Zubereitung einer Frangipane werden zwei Cremes kombiniert, die seit langem ebenfalls zum Grundrepertoire der Konditorei gehören:

Zum einen die crème d’amandes, eine einfache Mandelmasse. Feines Mandelmehl wird mit Zucker, etwas Weizenmehl, Eiern und zimmerwarmer Butter kalt verrührt. Im Unterschied dazu besteht →Marzipan, im französischen massepain, nur aus gemahlenen Mandeln und Zucker.

Üblicherweise wird das Mandelaroma noch mit einem Schuss Rum unterstützt. Diese Creme ist die wichtigste Komponente des →pithiviers, des nach der gleichnamigen französischen Stadt benannten Blätterteigkuchens. Bei mit Obst belegten Tortenböden dient sie nicht nur als Geschmacksgeber, sondern verhindert als Trennschicht auch das Durchweichen des Biskuits durch Fruchtsaft.

Pithiviers
Croquembouche

Die zweite Komponente ist eine crème pâtissière, die in deutschen Backstuben Konditorcreme heißt und z.B. als Füllcreme oder, beim Aufbau von Schichttorten, als Mörtel zwischen Biskuitböden dienen kann. Mit ihr werden auch die Hohlräume gefüllt, die der Brandteig beim Backen von éclairs oder eines croquembouche bildet (→Honoré). Milch, Eier (Vollei oder nur Dotter), Weizenmehl und Zucker werden mit etwas Speisestärke erhitzt und mit dem Schneebesen schaumig geschlagen. Nach dem Abkühlen entsteht eine puddingähnliche Konsistenz. Die Konditoren-Creme wird meist mit Vanille aromatisiert, kann aber auch durch Mokka, Schokolade, Zitrusfrüchte oder anderes Geschmack erhalten.

Und wenn man nun etwa zwei Drittel Crème d’amandes mit einem Drittel Crème pâtissière vermengt, erhält man die Crème frangipane.

Apfelkuchen
Birnen-Tarte
Galette des Rois

In Frankreich ist sie unabdingbarer Bestandteil einer galette des rois, die traditionell zum 6.Januar gebacken wird. Die nordfranzösische Version des →Dreikönigskuchens besteht aus pâte feuilletée, aus Blätterteig. Und die Zwischenräume der blättrigen Lockerheit sind mit reichlich Frangipane ausgefüllt. Bei Obst-Tartes füllt sie gerne üppig die Zwischenräume zwischen den in die Creme gedrückten Fruchtstücken und bekommt beim Backen einen köstlichen nussig-karamelligen Geschmack.