Ulis Culinaria

Artemis alias Diana

griechische / römische Antike, unsterblich

Wild

Vor mehr als 10.000 Jahren begann der Mensch, Tiere aus der Wildnis zu domestizieren. Er trieb sie zunächst in Gehege, wo er sie länger gefangenhalten und als Nahrungsvorrat nutzen konnte. Mit der gezielten züchterischen Auslese von bestimmten Eigenschaften begann all das, was man heute unter Viehhaltung versteht.

Trotzdem ist das Erlegen von Wildtieren bei der Jagd in den allermeisten Kulturen eine wichtige Nahrungsquelle geblieben, wenn auch häufig zum reinen Freizeitvergnügen zahlungswilliger Herrschaften oder zum machohaften Geprotze sogenannter Großwildjäger verkommen.

uralte Nahrungsquelle des Menschen

Schlosspark Versailles
Altamira, Spanien

Mit den Höhlenmalereien haben prähistorische Jäger die erwünschte Jagdbeute in Bildform festgehalten. Höhere Mächte und Gottheiten wurden sicher auch damals schon beschworen, dem Jagderfolg nachzuhelfen, denn oft musste dieser unter Lebensgefahr errungen werden.

In der griechischen Mythologie war hierfür Artemis zuständig. Wie fast alle diese unsterblichen Bewohner des Olymp hatte auch die Jagdgöttin eine entsprechende Ressort-Kollegin in der Götterwelt der alten Römer, und dort hieß sie Diana. Neben dem Waidwerk zählte zu ihrem Amtsbereich auch die Bewahrung des Mondlichtes, sie war schließlich die Schwester von Eos, verantwortlich für die Morgenröte, und von Apoll, dem Sonnengott.

Natürlich wurden Artemis bzw. Diana nicht nur vor der Jagd um Beistand gebeten, sondern reichliche Beute wurde mit entsprechenden Opfergaben abgegolten. Aber keiner der antiken Liebhaber von Wildgerichten, auch nicht der alte Apicius, wäre auf die Idee gekommen, einen Hirschbraten oder eine Rehkeule nach der hilfreichen Göttin zu benennen. Solcherlei namentliche kulinarische Widmungen sind viel später und wahrscheinlich in Wirtshäusern entstanden, um dem Gast ein Speiseangebot schmackhaft zu machen. Im christlichen Abendland hat man seit jeher den Heiligen Hubertus als Namensgeber für Wildspeisen bemüht, den Schutzpatron der Jägerei.

Hirschragout

Aber die Popularität der von den Römern in weiten Teilen Europas bekannt gemachten Gottheiten hat zumindest im öffentlichen Bewusstsein auch die Christianisierung überstanden. Die antiken Kunstwerke, die nicht selten Szenen aus der griechischen bzw. der römischen Mythologie darstellen, dienten auch späteren Künstlern als Vorbilder, ganz besonders natürlich in der Renaissance, und die häufig menschelnden Beziehungen zwischen den Unsterblichen lieferten bis in die Neuzeit Schriftstellern den Stoff für Theaterstücke und Romane (Helena).

So findet man auch in jüngeren Kochbüchern Hirschrücken oder Wildsuppe Diana und andere der römischen Jagdgöttin gewidmete Rezepte. Einer der ersten Köche, die diese Namensgebung in schriftlicher Form verwendeten, war der große französische Küchenmeister AugusteEscoffier. In seinem Hauptwerk, dem 1902 erstmals erschienenen Guide Culinaire, hat er timbales de bécasse oder de perdreau (Auflauf mit Schnepfe oder Rebhuhn), selle de chevreuil (Rehrücken) und weitere Wildgerichte mit dem Zusatz (à la) Diane notiert.

... à la Diane

Fontana di Diana, Siracusa

Zu den meisten serviert er eine Sauce à la Diane, die er auf Basis einer mit Wildfond angesetzten sauce poivrade zubereitet. Die Pfeffersauce montiert er mit steif geschlagener Sahne (crème fouettée) auf und gibt zum Schluss feine Würfelchen von Trüffel und hart gekochtem Eiweiß dazu. Escoffiers Empfehlung: Speciale pour côtelettes, noisettes et filets de venaison (besonders zu Koteletts, Nüsschen und Filets von Wildbret).

Unter einer ganzen Reihe von Rezepten für bouchées à la reine (→Leszczyńska) findet sich die Bouchée à la Diane, gefüllt mit einem →Salpicon von Wildfleisch.

Etwas schwieriger nachzuvollziehen ist der Bezug zur römischen Jagdgöttin beim Steak Diane, das wohl in den 1920er Jahren in den USA in Mode kam. Denn es handelt sich dabei nicht um Wildfleisch, sondern um ein Rindersteak (und die Tausende Buffalo Bills, die die riesigen Bison-Herden ausrotteten, möchte ich nicht mit seriösem Waidwerk in Verbindung bringen!). Das Steak wird plattiert, in Butter gebraten und warmgestellt. Währenddessen schwenkt man in der gleichen Pfanne blättrig geschnittene Champignons und feine Schalotten-Würfelchen und bildet aus Sahne, weiterer Butter und Fleischbrühe eine cremige Sauce. Senf und Pfeffer bringen Schärfe ins Spiel, eventuell kommen noch Trüffel dazu. Abgeschmeckt wird mit Worcestershiresauce.

Steak Diane

Das Diana-Steak galt in den USA als continental style, also als etwas, das man typisch für die europäische Küche hielt. Und man glaubte offensichtlich- vielleicht als Ausdruck von Emigranten-Nostalgie – in old Europe sei es chic, das kurzgebratene Fleisch am Tisch des Gastes zuzubereiten und vor allem, es kurz vor dem Servieren mit Cognac, Brandy oder einer anderen Spirituose zu flambieren.

Mittlerweile hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass der Feuerzauber zwar ein hübsches Spektakel bietet, der geschmackliche Effekt aber völlig überschätzt wird.

In Europa würde eine solche Zubereitung, ob nun flambiert oder nicht, schlicht als Pfeffersteak präsentiert. Allenfalls die Mitwirkung von Wald!-Pilzen würde eine Benennung als Jägersteak oder, wenn das Fleisch vom Schwein kommt, als Jägerschnitzel rechtfertigen. Diese Assoziation von Jagd und Wald wird hierzulande auch gerne namentlich mit dem Heiligen →Hubertus in Verbindung gebracht (obwohl man leider meist Zuchtchampignons erhält statt der Waldpilze …).

Aber vielleicht hat ja der unbekannte Erfinder des Steak Diane gar nicht die Jagdgöttin im Sinn gehabt, sondern die zufällig namensgleiche Dame seines Herzens?

Auch bei der oben (als eine von etlichen Nachbildungen) gezeigten Marmor-Statue ist der Bezug zur Jagdgöttin doppeldeutig. Das Original ist wohl selbst schon im 3.Jh.n.Chr. als Kopie einer 500 Jahre älteren griechischen Bronzefigur – also einer Artemis – entstanden und steht heute in einem eigenen Saal des Louvre in Paris. Nach Frankreich kam das Kunstwerk als Geschenk von Papst Paul IV. an Henri II, Roi de France. Und es wird gemunkelt, der Papst habe damit seinen weltlichen Kollegen zu einem gottgefälligen Umgang mit dessen Maitresse ermahnen wollen, einer gewissen Diane de Poitiers …