* ca. 1.000v.Chr. † unsterblich
Irgendwann in der Jungsteinzeit vor rund 13.000 Jahren dürfte es gewesen sein, irgendwo im Fruchtbaren Halbmond, der sich vom unteren Niltal über das Ostufer des Mittelmeers durch das Zweistromland von Euphrat und Tigris bis zum Persischen Golf zog. Da fiel den Menschen auf, dass überall da, wo wilde Schweine auf der Suche nach unterirdischer Nahrung den Boden aufgewühlt hatten, die Samen von Gräsern und anderen Pflanzen besonders gut keimten. Irgendein schlauer Mensch schnitzte das Ende eines Astes nach dem Vorbild der schaufelartig nach vorne hin verstärkten Nasenspitze des Wildschweins und kratzte mit dem neuartigen Grabstock die Erde an, um dort die gesammelten Samen von bestimmten Gräsern auszustreuen. Der Pflug, bis heute ein symbolträchtiges und trotz aller Modernisierungen im Prinzip gleich gebliebenes Werkzeug des Ackerbaus, war geboren.
So oder so ähnlich hat sich wahrscheinlich der Wandel des Menschen vom Jäger und Sammler zum Landwirt und damit vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit angebahnt. Diese Entwicklung, die sich ziemlich rasch auf Afrika und Europa ausweitete, hat sich unabhängig, aber in etwa zeitgleich in Ostasien und in den südamerikanischen Anden angebahnt.
Irgendwann konnte der Pflug, wie der hier abgebildete, von einem oder zwei Helfern gezogen werden, da waren schon richtige Furchen möglich. Die aus Metall geschmiedete Schar machte das Pflügen noch schneller und die Furchen tiefer. Der Vortrieb über diverse Zugtiere bis zum High-Tech-Traktor mit GPS-Steuerung und führerlosem Betrieb ist wahrscheinlich noch nicht das Ende der Entwicklung.
Aber: Der Pflug ist immer noch ein Pflug!
Ebenfalls im östlichen Mittelmeerraum, genauer gesagt auf dem Bergmassiv des Olympos, erdachten sich die Menschen, um so unerklärliche Dinge wie Pflanzenwachstum oder Wetterphänomene zu erklären, ein paar Jahrtausende später eine komplexe Götterwelt, die in der Blütezeit des Hellenismus eine große Anzahl von Göttern, Neben- und Halbgöttern sowie Heroen umfasste. Sehr praktisch und menschlich nachvollziehbar: Alle Göttinen und Götter hatten klar abgegrenzte Zuständigkeiten, nach denen sie, unter Leitung des Aufsichtsratsvorsitzenden Zeus, die komplexe Welt am Laufen hielten.
Zu den Hauptgottheiten, die ihren Wohnsitz direkt auf dem Olymp hatten, zählte auch Demeter.
Den Namen übersetzen die meisten Sprachforscher mit Mutter der Erde, was ganz gut ihr Ressort beschreibt. Demeter war verantwortlich für günstige Bedingungen für den Ackerbau, für Fruchtbarkeit und Gelingen der Aussaat. Wenn sie dann wirklich alles gut geregelt hatte, konnte sie die reiche Ernte mit ihrem Füllhorn über die Menschheit ausstreuen.
Die Römer übernahmen rund 1.000 Jahre v.Chr. den Aufbau der griechischen Götterwelt fast Eins zu Eins, nur die Namen änderten sich. Beispiele in diesem Lexikon sind →Aphrodite, die zu →Venus wurde oder Artemis, die in Rom →Diana hieß.
Und Demeter nannten die alten Römer Ceres. Etymologen leiten den Namen vom lateinischen crescere für wachsen ab. Zur Wortfamilie gehören wohl die Kreatur, cera für das Wachs und vielleicht auch die →Kirsche Prunus cerasus.
Mit der Biene erhielt Ceres ein weiteres Symboltier, als Bestäuberin und Honigproduzentin ebenfalls von elementarer Bedeutung für die Ernährung.
Wie die Griechen ordneten auch die Römer ihren Gottheiten Gegenstände, Tiere oder Pflanzen zu, die das jeweilige Aufgabengebiet versinnbildlichten. Bei Demeter/Ceres diente das Schwein als Attribut, als Erkennungsmerkmal. Es hatte schließlich mit dem Umpflügen des Erdbodens der Landwirtschaft einen wesentlichen Impuls gegeben. Und in den meisten bildlichen Darstellungen, wie man sie in Pompeji und an unzähligen weiteren Ausgrabungsorten gefünden hat, hält die Göttin ein Bündel Getreideähren im Arm. Oft ist sie zusätzlich mit einer Sichel ausgestattet, dem wichtigsten Werkzeug für die Erntezeit. Da verwundert es nicht, dass man das Getreide, also die essbaren Samenkörner bestimmter Süßgräser (botanisch Poaceae) bzw. die aus ihnen hergestellten Flocken und ähnliche Produkte, auch als Cerealien bezeichnet. Denn seit der Jungsteinzeit bis heute sind sie die Nahrungsbasis der menschlichen Weltbevölkerung. Dabei nehmen sie unter allen existierenden Arten der Süßgräser nur einen geringen Prozentsatz ein.
In der gesamten von Flora bewachsenen Landfläche der Erde sind Gräser mit etwa 20% vertreten. Neben den von Natur aus waldfreien Gebieten wie Savanne, Steppe oder Prärie hat der Mensch ungeheuere frühere Waldgebiete gerodet, um Platz für den sich stetig ausweitenden Ackerbau zu schaffen. Die im Fruchtbaren Halbmond zu Beginn kultivierten Getreide waren die auch als Urgetreide bezeichneten Arten Emmer und Dinkel (→Monteleone). In Mittel- und Südamerika nahm diese Pionierrolle der Mais ein, in Ostasien und auf dem indischen Subkontinent der Reis. Heute existieren von allen Süßgräsern unzählige Zuchtformen, um sie möglichst gut an unterschiedliche Bedingungen anzupassen.
Ganz vorne in der Weltrangliste der meistgeernteten Getreidesorten steht der Mais ( →Zea mays) mit rund 1 Milliarde Tonnen, mit gut 700 Millionen Tonnen liegen die Weizen-Arten (→Triticum) auf Platz zwei, und Platz 3 nimmt der Reis (→Oryza sativa) mit einer knappen halben Milliarde Tonnen ein (Zahlen für 2018/2019). Es folgen mit deutlichen Abständen Gerste, Hirse, Hafer und Roggen.
Eine für die Ernährung eher untergeordnete Rolle spielt – trotz der generellen Übersüßung unserer Nahrungsmittel – das Zuckerrohr. Von manchen Bambusarten werden junge Sprosse in der Küche seit langem verarbeitet. Je nach Definition werden auch Gräser, die der Industrie Rohstoffe wie Fasern oder Dämmmaterial bieten oder die – in zunehmendem Maß – als nachwachsende Energiequelle zur Gewinnung von Bio-Ethanol genutzt werden, zu den Getreiden gezählt.
Andere Süßgräser dienen uns erst indirekt als Nahrung, nachdem sie in Form von Silagefutter oder als Weidegras zu Fleisch geworden sind. Dass der immens gestiegene Fleischkonsum deshalb von Vegetariern als Verschwendung von Ressourcen gescholten wird, kann auch ein Fleischgenießer wie ich nicht von der Hand weisen.
Andererseits weisen Agrarwissenschaftler darauf hin, dass Hungersnöte, die angesichts unserer technischen Fähigkeiten eigentlich längst überwunden sein sollten, kein Problem der Menge an verfügbarem Getreide sind, sondern ihre Ursache in der ungerechten Verteilung haben.
Und erst recht in der ungerechten Verteilung der Gewinne, die im globalen Handel mit Weizen & Co. erzielt werden.
Wahrscheinlich würde auch die gute Ceres heutzutage ihr reich gefülltes Füllhorn, das man ihr als Attribut zugedacht hatte, nicht mehr so ganz ungezielt über die Menschheit ausschütten, weil dann meist diejenigen, die eh schon genug Ellenbogen haben, sich das Beste herausgreifen, während andere leer ausgehen.
Angesichts der grundlegenden Bedeutung ihres Ressorts für die Menschheit ist es völlig unverständlich, dass die Astronomie nur einen Zwergplaneten mit weniger als 1.000km Durchmesser Ceres genannt hat – während man ihren Kollegen Mars, zuständig für das Kriegsministerium, zum Namenspaten des immerhin sieben mal so großen direkten Nachbarn der Erde erkor.
Demeter wurde astronomisch sogar noch geringer geschätzt: Der Asteroid (1108) Demeter im Hauptgürtel zwischen Mars und Jupiter ist, im kosmischen Maßstab betrachtet, ein Sandkorn mit gerade mal 26km Durchmesser.
Das astronomische Zeichen für den Zwergplaneten stilisiert die Sichel, eines der Attribute der Göttin Ceres
Bram Stoker hat das Schiff, auf dem Graf Dracula seine Gruselreise nach England antritt, Demeter getauft. Warum auch immer …?
Ansonsten ist demeter allen Freunden einer naturbewussten Lebensweise bekannt als geschützter Name eines Landwirtschaftsverbandes, der sich seit seiner Gründung 1924 anthroposophischen Grundsätzen bei der Produktion biodynamischer Lebensmittel verpflichtet hat.
Den Namen Ceres tragen weltweit zahlreiche Städte und Dörfer.
Das Konterfei der Göttin ziert die ältesten Briefmarken Frankreichs aus dem Jahr 1846.
Eine dänische Brauerei hat als Gerste verarbeitender Betrieb den Namen Ceres gewählt.
Der Automobilbauer Renault hat eine Modellreihe von Traktoren nach der Landwirtschafts-Göttin getauft.
Die Ordnungszahl 58 im Periodensystem und das Kürzel Ce trägt das 1805 entdeckte Selten-Erd-Metall Cer, benannt nach dem bereits erwähnten Zwergplaneten.
Und natürlich haben auch Obst- und Gemüsezüchter die eine oder andere Varietät Ceres genannt. Die Liste ließe sich fortsetzen über Fruchtsäfte, Brotsorten, Müsli-Riegel …
Und in Australien wurde sogar ein Flugzeug zum Besprühen von Plantagen mit Pflanzenschutzgift Ceres getauft – als könne die Göttin nicht auch in Down Under selbst aufpassen …!
Im Park des Schlosses von Versailles sind sämtliche Gottheiten der griechisch-römischen Antike vertreten. Ceres vergnügt sich mit ein paar Amoretten auf einer Ähreninsel im Bassin de Cérès.