*1873 Napoli, †1921 Napoli
An der Entstehung des kleinen südamerikanischen Landes Uruguay waren neben Spaniern auch zahlreiche Italiener beteiligt, was bis heute an häufig zu hörenden italienischen Familiennamen erkennbar ist. Die traditionelle Liebe der Italiener für Oper und Belcanto hat daher zu Begeisterungsstürmen in der uruguayischen Hauptstadt Montevideo geführt, als dort im Jahr 1915 der weltberühmte Operntenor Enrico Caruso gastierte.
Das Theatro Solis in Montevideo, eines der bedeutendsten Opernhäuser in Südamerika.
Der kleine Errico, so sein eigentlicher Vorname, war das dritte von sieben Kindern einer armen Familie und wuchs in den Gassen von Neapel auf. Trotz finanzieller Not durfte er eine gute Schule besuchen. Im Schul- und Kirchenchor fiel bereits sein außergewöhnlicher Knaben-Alt auf, und er erhielt ersten professionellen Gesangsunterricht. Einer seiner Stimmlehrer riet ihm wegen des etwas gefälligeren Klangs zu der kleinen Änderung seines Vornamens in Enrico. Noch als Teenager hatte er sein Operndebüt in einer Tenor-Rolle, aber zunächst ohne großen Erfolg. Der stellte sich erst nach seinem Weggang aus Neapel ein.
Es wird berichtet, dass er, als er längst zum Weltstar geworden war und zum ersten Mal wieder in seiner Heimatstadt auftrat, über die zurückhaltenen Reaktionen maßlos enttäuscht gewesen sei. Er habe geschworen, nie mehr in Napoli aufzutreten, da man ihn dort immer noch behandle wie den armseligen Straßenjungen, der er einmal war. Und wenn er die Stadt besuche, dann lediglich, um Spaghetti zu essen. Und diese Ansage hat Caruso zeitlebens beherzigt, selbst als sein Ruf als Jahrhundert-Tenor auch in Neapel längst respektiert wurde.
Caruso, ein ausgewiesener Lebemann und Feinschmecker, hat sicher oft Spaghetti und andere →Pasta-Gerichte mit guten Saucen verspeist, denn seine voluminöse Stimme brauchte natürlich einen angemessenen Klangkörper. Und schließlich gilt seine Heimatstadt seit jeher als Hauptstadt von Pizza und Pasta.
Ganz bestimmt hätte ihm auch die Salsa Caruso gemundet, wenn sie der italienische Koch des Restaurante Mario y Alberto in Montevideo nicht ein paar Jahrzehnte zu spät erfunden hätte. Denn erst Anfang der 1950er Jahre widmete Raimondo Monti, jener Koch, dem großen Opernstar seine Kreation, also rund 35 Jahre nach dessen gloriosem Auftritt in Montevideo.
Es handelt sich um eine eigentlich recht simple Sahnesauce, die mit etwas Mehl oder, lateinamerikanischer Tradition gemäß, mit Maismehl gebunden wird. Gehalt bekommt die Salsa durch Streifen oder Würfelchen von Kochschinken, blättrig geschnittene Champignons, gemahlene oder gehackte Walnüsse und geriebenen Käse. Neben Pfeffer und Salz steuert, als Ersatz für den bei anderen Saucen verwendeten Fleischfond, etwas Fleischextrakt die Geschmacksrichtung umami bei. Die gewünschte Konsistenz wird, wie bei einer Bechamel, durch mehr oder weniger untergerührte Sahne oder Milch reguliert.
Die Salsa Caruso wird in Uruguay mittlerweile zum kulinarischen Nationalerbe gezählt und ist auch im benachbarten Argentinien, wo ebenfalls viele Nachkommen italienischer Einwanderer leben, überaus beliebt. Raimondo Monti, gebürtiger piemontese, hat sie mit cappelletti serviert, einer vor allem aus der italienischen Region Emilia-Romagna bekannten Form von paste ripiene, gefüllten Nudeln. Dort nennt man sie caplèt, beide Namensversionen bedeuten Hütchen und beziehen sich auf die kunstvoll gefaltete Form, die entweder eine Fleischfarce einschließt oder eine klassische Creme aus Spinat und Ricotta. Natürlich schmeckt die Caruso-Sauce auch zu anderen Nudelteig-Täschchen wie den ganz ähnlich geformten tortellini oder zu ravioli, aber ebenso zu Spaghetti und sonstigen Nudelvarianten.
Wahrscheinlich hat Caruso, wenn er denn zum Spaghetti-Essen nach Napoli reiste, selten Sahnesaucen bekommen, denn im Süden Italiens stellt eher Olivenöl den Fettanteil von Saucen. Die Verwendung von Rahm ist wohl der in Südamerika verbreiteten Rinderhaltung geschuldet.
In Uruguay wird meist ein gut schmelzender queso in die Sauce gerieben, wer es etwas würziger mag, nimmt die italienischen Käseklassiker →parmigiano oder →pecorino.
Wegen des verwendeten Mehls und der Milch wird die Salsa Caruso in manchen Kochbüchern als →Béchamel bezeichnet, was aber nicht ganz stimmt, denn es wird kein roux blond, keine helle Mehlschwitze mit Butter als Basis angesetzt. Als leichte Abwandlung findet man hie und da noch fein gehackte Zwiebel oder Schalotte, in Butter hell angeschwitzt, in der Sauce. Und wer, anders als Enrico Caruso es wohl gemacht hätte, mit der Salsa Caruso auf’s Gewicht achten will, lässt die Sahne weg und nimmt nur Milch. Das geht aber zu Lasten des gusto, denn Geschmack liebt nun mal Fett als guten Träger!