Ulis Culinaria

Otto von Bismarck

*1815 Schönhausen, †1898 Friedrichsruh

Wohl kaum ein anderer Politiker der deutschen Geschichte ist namentlich noch so allgegenwärtig wie Otto von Bismarck. Unzählige Straßen, Plätze, Aussichtstürme und andere Gebäude tragen seinen Namen. Auf einigen der Plätze findet man ihn zudem leibhaftig in Bronze gegossen. Aus den nach ihm getauften Handels- und Kriegsschiffen ließe sich eine stattliche Flotte bilden, die dann vielleicht um den halben Erdball die Bismarcksee mit dem Bismarck-Archipel ansteuern könnte, eventuell mit einem größeren Umweg durch die antarktische Bismarck-Straße, oder vorbei an den südafrikanischen Bismarckbergen, alternativ könnte man auch den Bismarck-Gletscher an der Südspitze Argentiniens passieren.

Und selbst dann hätte man noch längst nicht alle geografischen Orte bedacht, die ihren Namen einem Politiker verdanken, der immer wieder, je nach politischer Opportunität, mal als deutsche Lichtgestalt glorifiziert, mal als Buhmann geschmäht wurde.

Sein politischer Höhepunkt war nach Ansicht der meisten seiner Biografen – und es gab viele! – die Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871, am Ende des Krieges gegen Frankreich. Dass er sich schließlich wie der Lotse, der in der berühmten englischen Karikatur von Bord geht, verbittert aus der Politik verabschieden musste, zeigt die Widersprüchlichkeit Otto von Bismarcks.

In keiner seiner Biografien wird von besonderem kulinarischem Interesse des Eisernen Kanzlers berichtet. Dennoch trägt mit dem

Bismarckhering

eine Fischdelikatesse seinen Namen, die nicht erst seit seinen Lebzeiten zum Standardangebot des Lebensmittelhandels gehört.

Der Bismarckhering

Clupea harengus ist der botanische Name des Atlantischen Herings, seit jeher der meistgefangene Fisch in Nord- und Ostsee. Um den Fang auch weiter südlich im Binnenland verkaufen zu können, hat man eine der ältesten Konservierungsmethoden angewandt, das Einlegen in Weinessig. Der Fisch wird vorher ausgenommen, geköpft und von der Gräte befreit. Übrig bleiben die sog. Heringslappen, je Fisch zwei Stück, die man bei anderen Fischen als Filet bezeichnet. Meist werden hierfür Ihlen verwendet, Heringe, die nach der Laichzeit gefangen wurden. Deren Fleisch ist fettärmer und fester als das von jungen Fischen, die dann z.B. zum cremig schmelzenden Matjeshering werden.

Die Essigsäure wirkt nicht nur konservierend, sondern macht das Fischfleisch auch zarter, selbst eventuell noch verbliebene kleine Gräten werden aufgeweicht. Die Marinade für den Bismarckhering erhält zusätzlich Geschmack durch Senfkörner, Zwiebelringe, Lorbeer und eine Prise Salz. Abgerundet wird das Bad mit etwas Zucker und pflanzlichem Öl. Meist durchwandert der Fisch zunächst ein mehrtägiges Reife- bzw. Garbad, bei dem die verdünnte Essigsäure das Fleisch zarter werden lässt. Erst danach kommt er in den gewürzten, verkaufsfertigen Aufguss.

Zur Benennung der Heringskonserve nach Otto von Bismarck erzählt man diverse Geschichten, von denen aber keine wirklichen Wahrheitsanspruch erheben kann. Zur Verbreitung des Bismarckherings trug jedenfalls wesentlich das im 19.Jh. entstehende Streckennetz der Deutschen Reichsbahn bei. Seinerzeit stand praktisch in jedem Lebensmittelladen, wie weit auch immer von Nord- und Ostsee entfernt, neben der Theke das Holzfass, aus dem die sauren Heringe stückweise in Zeitungspapier gewickelt und verkauft wurden. Hygienischer und noch besser zu transportieren sind natürlich die heute üblichen luftdichten Gläser, in denen man zudem schon beim Kauf sieht, was einen erwartet. Häufig werden Bismarckheringe mit weiteren Zutaten als Salat zubereitet. Auch einfach direkt aus dem Glas mit ein paar Pellkartoffeln oder einem frischen Bauernbrot stellen sie eine vollwertige Mahlzeit dar. Gerne gesellen sich diverse Wurzelgemüse, knackige Zwiebelringe oder auch hartgekochtes Ei hinzu. Im Straßenverkauf bekommt man sie als handlichen Snack in einem aufgeschnittenen Brötchen, das damit zum Bismarckbrötchen wird.

Bismarckbrötchen

Eine der vielen Namenslegenden berichtet, Bismarck habe während eines Truppenbesuchs im deutsch-dänischen Krieg 1864 in einem Flensburger Gasthaus den eingelegten Fisch kennengelernt und sei von dem Genuss so angetan gewesen, dass er dem Wirt gestattet habe, das Gericht als Bismarckhering auf die Karte zu setzen. Bei dieser oder einer anderen Gelegenheit soll er sich bedauernd über die – noch – mangelnde Verbreitung der gesunden Heringe geäußert haben, die sicher mehr geschätzt würden, wenn sie so teuer wie Kaviar wären. In manchen Zitierungen wird ihm statt des Kaviars auch Hummer in den Mund gelegt.

Eine andere Version schreibt die Namensgebung einem Arzt zu, der Bismarck die Heringe erfolgreich als heilsame Kost verordnet habe. Ein Kaufmann aus Stralsund behauptete, in den 1870er Jahren habe Bismarck von ihm die sauren Heringe bezogen und ihm vor Begeisterung eine schriftliche Erlaubnis erteilt, sie fortan mit seinem Namen zu etikettieren. Nur – so heißt es in dem Betrieb, der heute die Original Stralsunder Bismarckheringe verkauft – sei das Beweisstück, der Bismarck’sche Brief, leider im Bombenhagel des 2. Weltkrieges zerstört worden …

Rollmops

Jedenfalls hat die Bezeichnung der Heringskonserve nach dem Reichskanzler die kontroversen Debatten um dessen politisches Erbe ebenso unbeschadet überstanden wie die erwähnten geografischen und sonstigen Andenken an den Namen Bismarck.

Und wer diesen nicht mehr hören will, kauft die gleichen Heringslappen, in der gleichen Essigmarinade eingelegt, nur um ein Stück Essiggurke gewickelt und mit einem Holzspießchen fixiert. Politisch völlig neutral steht dann auf dem Etikett schlicht Rollmops.

Dass Bismarck sich nicht mit sauren Heringen begnügte, sondern grundsätzlich gerne, gut und deftig speiste, beweist die Leibesfülle, die selbst wohlmeinende Portraitisten nicht kaschieren konnten. Bekannt ist, dass er Eier in allen Zubereitungsvarianten mochte. Das muss auch in Italien aufgefallen sein. Denn dort findet man noch heute gelegentlich bistecca und anderes gebratenes Fleisch alla Bismarck auf der Speisekarte, was sich als Garnitur mit zwei Spiegeleiern entpuppt. Im Spargelörtchen →Cantello gehören Asparagi Cantellesi alla Bismarck zum Festmenü bei der alljährlichen Fiera dell’Asparago.

Asparagi alla Bismarck