Ulis Culinaria

Voghiera

In den 1780er Jahren beschrieb Johann Wolfgang von Goethe die unglückliche Liebe des italienischen Renaissance-Dichters Torquato Tasso zur adligen Eleonora d’Este. Als Schauplatz des Dramas wählte Goethe die Delizia di Belriguardo, ein Lustschloss, das die Estensi 1435 als Sommerresidenz in Voghiera, etwa 15km vom Fürstenhof in →Ferrara entfernt, erbauen ließen und in dem Tasso in der zweiten Hälfte des 16.Jhs. tatsächlich eine zeitlang gelebt hat. Das weitverzweigte und einflussreiche Adelsgeschlecht der Este besaß seit Anfang des 13.Jhs. den Landstrich, der heute die Provinz Ferrara bildet. Diese fruchtbare Gegend im Nordosten der Emilia-Romagna hatten die Estensi zum Gemüsegarten erkoren, in dem sie allerlei Köstlichkeiten für ihren Alltagsbedarf und für das prunkvolle höfische Leben anbauen ließen. 

herrschaftlicher Gemüsegarten

Delizia di Belriguardo, Wandmalereien in der Sala delle Vigne

Vor allem auf den Feldern der Gemeinde Voghiera gedeiht seit jener Zeit prächtiger Knoblauch, unerlässliche Zutat in der italienischen Küche. Der Aglio di VoghieraDOP zeichnet sich durch ein intensives, aber nicht strenges arttypisches Aroma aus, was vielfältige Kombinationen mit Gemüse, Fleisch und Fisch ermöglicht. Schon beim Aufbrechen des großen runden bulbo (Knolle) und erst recht beim Schneiden oder Zerquetschen der kompakten spicchi (Zehen) verbreitet sich der appetitliche, fast süßliche Duft in der ganzen Küche. Der blütenweiße, manchmal leicht violett gestreifte Knoblauch wird nach der Ernte im Juni/Juli ein paar Tage getrocknet und dann traditionell zu trecce (Zöpfen) von 8 bis 15 Knollen geflochten. Eine treccia extra kann schon mal bis zu 80 bulbi vereinen und bringt dann rund 5kg auf die Waage. Als aromatisches Mitbringsel ist da eher eine treccina mit gerade mal 3 bis 5 Knollen geeignet. Aber nicht nur für Großverbraucher ist das interessant, denn die Kompaktheit der Knollen garantiert eine lange Haltbarkeit an einem kühlen, trockenen Ort, ohne dass sich das Aroma ins Muffige verändert.

Aglio di Voghiera

Dass die Bauern von Voghiera und drei Nachbarorten die besondere lokale Varietät des Allium sativum über die Jahrhunderte hinweg erhalten haben und weiter pflegen, hat die EU im Jahr 2000 mit der Anerkennung als DOP gewürdigt.

Jedes Jahr veranstaltet das für die Qualitätssicherung gegründete consorzio die Fiera dell’Aglio di Voghiera. Anfang August wird in fröhlich-festlichem Ambiente im Bereich der (nur noch in Teilen erhaltenen) Delizia di Belriguardo sowie in allen ristorante des Ortes das gesamte kulinarische Potenzial des Knoblauchs ausgespielt. Eine besonders delikate Begegnung hat er in mancher Küche mit mariniertem Aal, der als anguilla marinata tradizionale delle valli di Comacchio unter Feinschmeckern beliebt ist. →Comacchio liegt etwas weiter östlich an der Adriaküste. Aus dem nördlich angrenzenden Veneto, z.B. aus →Grumolo, kommt hervorragender Reis, mit dem unzählige risotto-Varianten zubereitet werden, in denen der aglio natürlich gerne mitspielt.

spaghetti aglio e olio

Und eine Portion spaghetti aglio e olio mit feingehackten peperoncini kommt in Italien immer gut an. Die simpelste Methode, den feinen Geschmack zu testen: eine frisch geschälte Zehe auf eine knusprige, noch heiße Scheibe bruschetta reiben und sofort zubeißen!