Ulis Culinaria

Sydney

Die südöstliche Küstenlinie Australiens wird von etlichen Buchten unterbrochen, die teilweise tief ins Land einschneiden. Wenige Jahre nach der Entdeckung des Fünften Kontinents durch James Cook im Jahr 1770 wurde einer dieser Einschnitte Sydney Cove getauft. Die Namenswahl war nicht zufällig, denn ein gewisser Lord Sydney war zu jener Zeit Innenminister des britischen Königreiches und somit auch für den Strafvollzug zuständig. 

Und jene Bucht hatte man für die Errichtung einer Strafkolonie für Menschen auserkoren, die man auf den heimischen Inseln nicht mehr haben wollte. Auf der anderen Seite des Globus, in der gerade entdeckten terra australis incognita (unbekanntes südliches Land), schienen sie den rechtschaffenen englischen Bürgern weit genug weg, um keinen weiteren Schaden anrichten zu können. Die Sydney Cove ist heute ein Teil des Port Jackson, des weitverzweigten Naturhafens der Millionenmetropole Sydney.

Naturhafen Sydney Cove

Mit der Besiedlung Australiens brachten die Engländer ihre Lebensgewohnheiten mit, darunter auch ihre kulinarischen Vorlieben. Die jahrtausendealte Kultur der ersten Bewohner des Kontinents wurde nicht nur missachtet, sondern, wie man offiziell erst in jüngster Zeit einräumt, als primitiv bekämpft und fast ausgerottet. Die Tiere und Pflanzen, die die Aborigines als Nahrung, aber auch zu medizinischen und rituellen Zwecken nutzten, wurden weitgehend ignoriert und bis vor wenigen Jahren als bush food oder, noch verächtlicher, als bush tucker (Busch-Fraß) verschmäht.

Die Briten kannten natürlich oysters, Austern, auch aus ihrer Heimat (→Whitstable). Daher griffen sie lediglich die Gewohnheit der an den Küsten lebenden Aborigines auf, in großen Mengen Muscheln als eiweißreiche Kost zu genießen. Funde von riesigen Halden, auf denen die Ureinwohner die Muschelschalen entsorgten, zeigen, dass Austern und viele andere Muschelarten seit Jahrtausenden zur Ernährung gehörten.

Sydney Rock Oyster

Die vor allem an der Ost- und Südküste Australiens und besonders in den felsigen Tidengewässern um Sydney beheimatete Austernart Saccostrea glomerata wird heute sowohl in der Zoologie als auch in der Gastronomie als Sydney Rock Oyster gehandelt. Auch als New Zealand Rock Oyster findet man sie, da sie nicht nur in Australien, sondern auch in Neuseeland mittlerweile in großen Austernfarmen gezüchtet wird. Im Deutschen nennt man sie Sydney-Felsen-Auster. Typisch für Felsenaustern ist ihre stark gewölbte untere Schale.

Der Rand der 6 bis 8cm langen Muscheln ist recht zackig zerklüftet, was das Öffnen ziemlich schwierig macht. Hat man es aber geschafft, lässt sich das leicht ockerfarbene Fleisch wie bei anderen Austernarten genießen: Klassisch, also roh aus der gerade geöffneten Schale geschlürft, aber auch in einer feinen Consommé, mit Kräutern gratiniert oder in einem Meeresfrüchte-Ragout. Aus der englischen Küchentradition sind in Australien bis heute pies beliebt, und auch als Füllung für einen solchen gedeckten Hefeteigkuchen werden gerne Sydney-Austern genommen.

Felsenaustern, mit Rosmarin gratiniert

Feinschmecker, die die Sydney Rock Oyster am liebsten roh genießen, trinken dazu gerne ein eisgekühltes Glas Hunter Valley Semillon, einen Weißwein aus dem Jägertal nördlich von Sydney, entweder trocken ausgebaut oder in der Dessertwein-Variante. Und mit einem feinen Essig von Sémillon- oder Shiraz-Trauben, Schalottenwürfelchen und gehacktem schwarzen Pfeffer wird eine mignonette hergestellt. Diese einer Vinaigrette ähnelnde Sauce wird über die Austern geträufelt und hebt deren nussig-mineralischen, leicht süßen Eigengeschmack.

Weinberge im Hunter Valley

Da diese Austern mit ihrer dicken und stabilen Schale auch längere Kühl-Transpote gut überstehen, gehören sie nicht nur an den Küsten, sondern auch im heißen Inneren des Kontinents zum regelmäßigen Angebot der Gastronomie.