Ulis Culinaria

Speyer

Im Juli 2010 feierte die Domstadt am Rhein in großem Stil das 100.

Speyerer Brezelfest.

Tatsächlich geht der Name des inzwischen weltweit beliebten Laugengebäcks auch sprachlich auf religiösen Ursprung zurück. Mönche buken das Fastenbrot einst in Form der zum Gebet ineinander verschränkten Arme und nannten es, abgeleitet vom lateinischen brachium oder in dessen Verkleinerungsform bracellum (Ärmchen) brezzitella, woraus dann der Begriff Brezel wurde. Selbst in englisch- oder französischsprachigen Ländern ist das Gebäck unter verschiedenen Formen dieses Namens wie Bretzel, Breezel usw. bekannt. In →Philadelphia ist die soft pretzel als Erbe deutscher Einwanderer bis heute beliebt.

Das Speyerer Brezelfest

Zur einzigartigen verschlungenen Gestalt mit den drei Fenstern gibt es neben der o.g. Erklärung diverse andere Geschichten wie z.B. die von einem Bäcker, der bei seinem Landesherrn in Ungnade gefallen war. Dieser versprach ihm Straffreiheit, wenn er ein Gebäck herstellen könne, durch das man dreimal die Sonne sieht. Viele Städte und Dörfer beanspruchen diese und ähnliche Legenden für sich, die meisten von ihnen liegen im Südwesten Deutschlands bzw. im Elsass. Die Alsaciens verweisen auf den Hortus Deliciarum, eine Klosterhandschrift, die zwischen 1159 und 1175 von den Nonnen des Mont St. Odile (Odilienberg) angefertigt wurde. Darin zeigt die Abbildung einer königlichen Speisetafel neben Brot und Fisch auch eine große Bretzel (das t vor dem z ist typisch elsässisch und verhindert, dass aus der Brezel nach französischer Phonetik eine Bresel wird).

Neben der bekannten Laugenbrezel, die vor dem Backen in Natronlauge getaucht wird und dadurch ihre typische dunkel-braune Kruste erhält, haben sich unzähli-ge regionale und lokale Variationen entwickelt wie z.B. in →Burg a.d.Wupper.

Eine Weißwurst-Mahlzeit wird in →München erst mit der Brezn vervollständigt. Dort wird mit der Wiesnbrezn eine der größten Ausgaben gebacken, die kleinste dürfte die industriell gebackene Partyknabberei darstellen. Die bayerische Brezn ist sogar seit 2014 als →g.g.A. namentlich geschützt. Beliebt sind als Alternative zum knackigen groben Salz vielerorts auch süße Brezelkreationen.

Viele Handwerksberufe haben sich als Zeichen ihrer Zunft ein in seiner Form typisches und unverwechselbares Produkt oder Werkzeug gewählt. Bei den Tischlern ist es der Hobel, beim Maurer die Mörtelkelle oder beim Hufschmied das Hufeisen.

Wohl wegen der im Unterschied zum Brotlaib markanten Form dient die Brezel seit langem als traditionelles Symbol des Bäckerhandwerks. Eines der ältesten erhaltenen Beispiele der Brezel als Bäckerei-Logo findet man an einem Straßburger Spital, es hängt dort schon seit 1572 über der Tür zur Backstube.

Beim großen Festumzug fliegen von den Wagen jedes Jahr mehrere tausend Brezeln unter die Zuschauer, so wie in den rheinischen Karnevalshochburgen die Süßigkeiten. Und viele Besucher treten den Heimweg an mit einem Bändchen um den Hals, an dem statt des anderswo üblichen Lebkuchenherzens eine große Fest-Brezel hängt.

Das Speyerer Brezelfest hat allerdings keinen religiösen Ursprung, obwohl es in direkter Nachbarschaft zum Dom stattfindet. In der pfälzischen Rheinebene wurde seit seiner Ankunft aus Amerika Tabak angebaut, Brauereien liegen entlang des Rheins wie auf der Perlenkette, und gebacken wird sowieso überall. Um den Verkauf ihrer Produkte zu fördern, haben also Tabakbauern, Brauereibesitzer und Vertreter der Bäckerzunft 1910 das Speyerer Brezelfest ins Leben gerufen. Offensichtlich nicht ohne Erfolg, wie das mehr als hundertjährige Bestehen zeigt. Heute ist es, jeweils am zweiten Juliwochenende, eines der größten Volksfeste in weitem Umkreis.