Ulis Culinaria

Scardovari

Im südlichen Bereich des Po-Deltas in der norditalienischen Provinz Veneto liegt der kleine Fischereihafen Porto Tolle, dessen drei Ortsteile Ca’ Mello, Santa Giulia und eben Scardovari sich die Isola della Donzella teilen. Zwischen den weit in die Adria vorgeschobenen Schwemmlandinseln liegen Lagunengewässer, die nur noch schmale Verbindung zum offenen Meer haben. Durch den Zustrom des Po ist das Wasser hier weniger salzig als das Meerwasser, aber reich an nährstoffhaltigen organischen und anorganischen Schwebstoffen.

Cozza

di

Scardovari

Schon vor einigen Jahrhunderten erkannte man diese geografische Besonderheit als ideale Voraussetzung für die Muschelzucht. In sog. reste, Netzschläuchen, bringen sie die Saat der Miesmuschelart Mytilus galloprovincialis aus. Der zoologische Name bezieht sich zwar auf die gallischen Provinzen im heutigen Frankreich. Die dort, z.B. um den →Mont-Saint-Michel, gezüchteten moules gehören allerdings zur Art Mytilus edulis. Äußerlich lassen sich die beiden Geschwister praktisch nicht unterscheiden. Vor allem die für den Muschelesser interessanten geschmacklichen Unterschiede ergeben sich hauptsächlich durch den Lebensraum und durch die Methoden der mitilicoltura (Miesmuschelzucht).

mitilicoltura

Im höchstens drei Meter tiefen, lichtdurchfluteten Wasser der Lagune, das zudem wärmer und sauerstoffreicher ist als das offene Meer, gedeiht die Nahrung der Meeresläuse, das Phytoplankton, hervorragend. Das nach etwa einem dreiviertel Jahr geerntete Ergebnis ist als Cozza di Scardovari (→DOP 2013) überregional in Privat- und Gastronomieküchen begehrt, da es sich durch die milde Salzigkeit und den leicht süßlichen Geschmack des zarten Muschelfleisches von vielen anderen Miesmuscheln abhebt.

Die Miesmuschel heißt im Italienischen mitilo (pl. mitili). Im Dialekt des Veneto nennt man die anpassungsfähigen Schalentiere peoci, abgeleitet vom italienischen Wort pidocchio für die Laus, die sich bekanntlich ebenfalls überall wohlfühlt. In ganz Italien umgangssprachlich und in der Speisekarte ist der Begriff cozza gebräuchlicher. Da man nun halt mal eine einzelne Miesmuschel in keinem Teller findet, wird praktisch nur der Plural cozze verrwendet. Dass dies für deutsche Ohren wenig appetitlich klingt, ist ein dummer Zufall der Sprachgeschichte, den aber die kulinarische Vielfalt der Schalentiere schnell vergessen macht.

Cozze fritte

Ein ganz kleines Beispiel:

Neben der klassischen Zubereitung in einem würzigen Weinsud nimmt man die gegarten Muscheln gerne aus den Schalen, paniert sie in der üblichen Abfolge von Mehl, Ei und Semmelbrösel und backt sie in heißem Olivenöl zu cozze fritte aus. Mit etwas Zitronensaft beträufelt ein köstliches antipasto.