Ulis Culinaria

Saint-Gilles (Gard)

Um sich von den rund zwei Dutzend geografischen Orten zu unterscheiden. die nach dem französischen Namen des Hl. Aegidius getauft sind, wird das Städtchen wenige Kilometer westlich von Arles meist mit dem Zusatz –du-Gard bezeichnet, womit das Département angegeben ist. Das Grab des Namenspatrons befindet sich in der hiesigen Hauptkirche, was den Ort schon im frühen Mittelalter zu einem viel besuchten Wallfahrerziel machte. Heute machen zahlreiche Pilger auf dem Weg nach →Santiago de Compostela Station in Saint-Gilles.

la Petite Camargue

Der Ortskern liegt etwas erhöht an den Hängen der Costières, auf denen leichte Weiß- und Rotweine zur →AOC Costières-de-nîmes heranwachsen. Im Süden schließt sich die von étangs (Lagunen) und marais (Sümpfen) geprägte Petite-Camargue an, der westlich des Petit-Rhône gelegene Teil der Camargue. Die im Norden zwischen Weinbergen reifenden Oliven gehören zum AOP-Gebiet des huile d’olives de →Nîmes. In der gesamten Region hat die Rinderhaltung antike Geschichte, nicht zuletzt wegen der taureaux, die in den Stierkampfarenen Südfrankreichs einer fragwürdigen Volksbelustigung dienen.

Agriade saint-gilloise

Gleichzeitig gehören die salins (→Aigues-Mortes) sowie Fischerei und Binnenschifffahrt im Mündungsdelta der Rhône genauso zur lokalen Lebensweise. Bei Saint-Gilles befindet sich eine Schleuse, die den Canal du Rhône à Sète mit dem weitverzweigten Netz von Wasserstraßen verbindet. Sowohl die Landwirte als auch die Fischer und Binnenschiffer (bateliers) brauchten für ihre oft mehrtägige Abwesenheit von zuhause haltbare Lebensmittel, die leicht zubereitet bzw. aufgewärmt werden konnten.

Daraus ist die Agriade saint-gilloise entstanden. In dem Eintopf vereinen sich die verschiedenen Produkte der Region: vom Rind stammt das paleron, das Schulterstück, das nach deutschem Fleischzuschnitt als Bug oder Schaufel bezeichnet wird. Die für den Geschmack mitentscheidenden →anchois kommen natürlich im gesamten Mittelmeer vor.

Das Fleisch wird in mundgerechte Scheibchen oder Streifen geschnitten und 24 Stunden in Weißwein mariniert. Dabei wird es, wie ein Sauerbraten, mürbe und länger haltbar. Diese Wirkung der Weinsäure erklärt den Namen des Gerichts. Man liest auch die Schreibweise aigriade, in der die Nähe zum vinaigre, dem Weinessig (wörtlich saurer Wein), sichtbar wird.

In einen bauchigen Topf, traditionell die irdene daubière (→Avignon), kommt ordentlich Olivenöl. Darauf werden nacheinander Zwiebelringe, das Fleisch, cornichons (Gewürzgurken, die zusätzlich Essigsäure beisteuern), anchois (in Meersalz konservierte Sardellen), reichlich Knoblauch und Kapern geschichtet. Mit der Weinmarinade wird alles bedeckt, grob gehackte Blattpetersilie bildet den Abschluss. Zugedeckt schmort die daube nun gut vier bis fünf Stunden bei sanfter Hitze im Ofen.

Kenner schwören darauf, dass die agriade noch besser schmeckt, wenn sie mindestens einmal aufgewärmt wurde, sie eignet sich also hervorragend als Wegzehrung für mehrere Tage. Klassische Beilage ist Reis, der ja in der Camargue ebenfalls angebaut wird.

daubière

Der Rindfleischtopf ist im Gebiet der südlichen Rhône auch unter dem Namen broufade oder broufado bekannt, abgeleitet vom provençalischen Wort broufa, mit dem das dampfende Sprudeln, Brodeln des Topfinhalts lautmalerisch beschrieben ist. Die bateliers nennen ihn passend fricot des barques, frei übersetzt Boots-Frikassee.

surf and turf

Manche sehen in der Agriade eine frühe Variante des Prinzips, das heute als surf and turf bezeichnet wird: Die Verbindung von mariner Nahrung (engl. surf für die Meeres-Wellen), also hier die Sardellen, mit Fleisch, das von der Weide (eng. turf = Rasen) stammt. Meistens handelt es sich bei der aus amerikanischen steakhouses stammenden Erfindung allerdings um Rindfleisch in Kombination mit Meeresfrüchten wie Hummer, Langoustine & Co.