Die lokale Küche der Hauptstadt der Normandie profitiert nicht zuletzt vom (zumindest früheren) Fischreichtum der Seine. Kleine gedünstete Aale, die ringförmig angerichtet und in ihrer Mitte mit gehackten Champignons und Austern garniert werden, genießt man nach einem Rezept aus dem Guide Culinaire von →Auguste Escoffier als Anguilles à la rouennaise. Begleitet werden die Aale von laitance (→Fischmilch) und éperlans (Stinten), die à la meunière zubereitet werden, also in Mehl gewälzt und in Butter gebraten. Die Stinte (Osmerus eperlanus) wandern auf der Suche nach Laichplätzen im Frühjahr die Flüsse bergauf. In der Seine erreichen sie nach etwa 120 Flusskilometern die Region um Rouen, wo sie von Fischern und Wasservögeln bereits erwartet werden.
Auch die Zubereitung von Fisch in Rotwein mit Muscheln, Garnelen und Pilzen wird auf Speisekarten gerne mit dem Zusatz à la rouennaise angezeigt.
Der Wasserreichtum um den Unterlauf der Seine lockt natürlich allerlei Wildgeflügel an. Schon sehr früh haben die Menschen begonnen, einige ihrer Arten zu domestizieren und systematisch zu züchten. Der Canard rouennais (dt. Bez.: Rouen Clair-Ente) genießt beste Reputation bei Geflügelköchen. Kein Wunder, ist sie doch eng verwandt mit der Barbarie-Ente, einem internationalen Aushängeschild französischer Geflügelzüchter. Aus dem Fleisch der Wasservögel kann man z.B. eine feine Entenvelouté (→Nevers) bereiten, die in Verbindung mit Linsenpüree und Rahm zur Crème à la rouennaise wird.
Weit über Rouen hinaus ist das Entengericht Canard à la rouennaise berühmt geworden. Eine junge Ente (caneton) wird so geschlachtet, dass sie möglichst wenig ihres Blutes verliert. Das heißt, sie wird erstickt. Diese Schlachtungsweise ist in Deutschland tierschutzrechtlich untersagt, nicht aber nach europäischem Recht. Wer also bei uns eine solche Blutente (frz. canard au sang) zubereiten möchte, ist auf Import angewiesen, der durchaus von einer Entenfarm bei Rouen kommen kann.
Die Ente wird nicht völlig gar gebraten, damit das Blut in ihrem Fleisch nicht stockt. Während die anschließend tranchierten Fleischteile von Brust (magret) und Keulen (cuisses) im Ofen fertiggaren, wird aus der Karkasse in einer speziellen presse à canard das Blut als Basis der Sauce sowie das in den Knochen enthaltene Mark ausgequetscht. Dabei werden die Leber und das Herz mitgepresst. Der entstehende Saft ist ein Konzentrat an Entengeschmack, der sich durch Einreduzieren mit Rotwein weiter intensiviert. Zum Schluss wird die Sauce gewürzt und mit Butter aufmontiert, und das zart rosa gebratene, in Scheibchen geschnittene Fleisch damit nappiert (oder sie wird separat in der saucière serviert).
Im Restaurant La Tour d’Argent in Paris wird sie zusätzlich mit Madeira und Cognac abgeschmeckt. Dort wird das Gericht als Caneton Tour d’Argent seit dem 19.Jh. zubereitet und ist das kulinarische Aushängeschild, dessentwegen manche Gäste halbe Weltreisen unternehmen. Im Silbernen Turm werden jedoch ausschließlich Enten aus →Challans verarbeitet.
Die Entenpresse funktioniert nach dem Prinzip einer Weinkelter mit einer Schraubenspindel. Man bekommt sie – nicht für den kleinen Geldbeutel! ‒ im gut sortierten Fachhandel zu kaufen.
Unter Sauce rouennaise verstehen Köche eine Reduktion von in Butter angeschmolzenen Schalotten in cidre, dem für die Normandie als Nationalgetränk geltenden Apfelwein.
Die Sauce wird mit Kalbsfond, feingehackter Entenleber, Thymian, Cayennepfeffer und Zitrone vollendet. Auch sie wird gerne zu Ente gereicht, sofern nicht, wie oben beschrieben, eine Entenpresse im Einsatz war.
Nicht nur bei Escoffier findet man weitere Rezepte mit dem Namenszusatz (à la) rouennaise. Allerdings ist dabei kein gemeinsames Merkmal als namensgebend erkennbar. Immerhin finden sich als Zutaten hie und da die Äpfel, die als normannische Nationalfrucht gelten, oder auch der aus ihnen gekelterte cidre, dieser fruchtige, leicht perlende Apfelwein.
Und zum Kaffee nach der Mahlzeit passt jederzeit ein Gläschen des Apelbrandes namens Calvados!
Der Calvados gehört zu den bekanntesten Spirituosen Frankreichs. Er ist überdies das älteste eau-de-vie des Landes, also auch älter als die bekannteren, aus Weintrauben gebrannten Kollegen Cognac und Armagnac.
Zum internationalen Renommée des Calvados hat auch der Hafen von Rouen als Startpunkt des Exports einen wesentlichen Beitrag geleistet.
In diesem Hafen trafen auch schon im 16.Jh. die Äpfel der Normandie auf den Rohrzucker aus der Neuen Welt. Der sogenannte casson machte das Luxusgut Zucker zu einem allgemein erschwinglichen Lebensmittel.
Aber auch ihn vereinte zunächst ein Apotheker aus Rouen in seiner →Offizin mit einem hoch konzentrierten Apfelsaft zu Lutschern, mit denen die anerkannt gesundheitsfördernden Inhaltsstoffe des normannischen Malus domestica, des Kulturapfels, konserviert werden konnten.
Heute werden die Sucres de Pomme de Rouen vom Süßwarenhandel vertrieben. Es gibt die goldgelben Zuckerstangen in verschiedenen Größen, vom kleinen Stückchen für die Backentasche bis zum Riesen-Lolli fü Dauer-Lutscher.
Und was will der Zahnarzt gegen die so gesunden Äpfel machen! Schon garnicht in der Hauptstadt der Normandie!