Die bretonische Halbinsel Finistère (lat. finis terrae, Ende der Erde) ist der westlichste Ausläufer des französischen Festlandes. Noch einmal 20km weiter in den Atlantik hinaus liegt die kleine Île d’Ouessant. Die rund 850 Bewohner bilden die Gemeinde Ouessant mit dem Hauptort Lampaul. Das raue atlantische Klima bietet nicht allzuvielen Pflanzen und Tieren eine Heimat. Auf 8km ost-westlicher und 4km nord-südlicher Ausdehnung gedeihen hauptsächlich Gräser.
Der mit der Bucht von Lampaul etwas geschütztere Südteil des Eilandes lässt auf teilweise sumpfigen Böden immerhin Heidekraut, Ginster oder Brombeersträucher wachsen. Von diesem kargen Angebot lebten auch zwei tierische Zwergformen, die sich über lange Zeit endemisch entwickelt haben. Das cheval nain d’Ouessant, ein kleinwüchsiges Pferd (frz. nain = Zwerg), ist inzwischen ausgestorben.
Das Mouton d’Ouessant diente über Jahrhunderte den Inselbewohnern als Nahrungsquelle und Wolllieferant und hielt die begrenzte Agrarlandschaft des Eilandes vor Verwaldung geschützt. Es hat sich allerdings mit Hausschafen (Ovis gmelini aries), die im 20.Jh. auf die Insel gebracht wurden, vermischt. In Reinform ist die mit gerade einem halben Meter Schulterhöhe kleinste Schafrasse der Welt aber noch in kleinen Gruppen über ganz Frankreich verbreitet und gilt nicht mehr als vom Aussterben bedroht. Engagierte Züchter versuchen, die genetische Originalität der Ouessant-Schafe zu bewahren.
Zur Zeit sieht man die hübschen Tiere auf dem Kontinent in ihrem Einsatz als lebende Rasenmäher in Schlossgärten und anderen öffentlichen, touristisch interessanten Parkanlagen, so auch in etlichen grünen Oasen im Großraum von Paris. Auch außerhalb Frankreichs, so z.B. auf einem Arche-Hof in Schleswig-Holstein, werden reinrassige Ouessant-Schafe gehalten. Die béliers, die Böcke, tragen eindrucksvolle Hörner, die sich mit zunehmendem Alter bis zu eineinhalb mal um die Ohren winden.
Die Verwertung des Fleisches der fortpflanzungsfaulen Schäfchen ist in den Hintergrund getreten. Aber vielleicht kommt es ja auch hier, wie bei so manchem anderen beinahe verschwundenen Nutztier, zu einer kulinarischen Renaissance.
So gilt bis heute ragout d’agneau dans les mottes als typisches Gericht der Ouessantins. Ein gusseiserner Schmortopf mit Lammfleisch, Zwiebeln, Kartoffeln und Wurzelgemüse, gewürzt mit viel Knoblauch, wird unter glimmenden Ballen (frz. mottes) von getrocknetem tourbe (Torf) versteckt. Wenn dann Stunden später die zu Asche verglühten Torfballen den Topf freigeben, ist auch das Fleisch gut! Da allerdings der Abbau von Torf inzwischen zur Erhaltung der Sumpf-Biotope praktisch ausgeschlossen ist, übernimmt heute der übliche Backofen die lange Garzeit. Bis auf ein wenig rauchige Aromen fehlt aber nichts …!