Ulis Culinaria

Niort

Seit langer Zeit sind die medizinischen Eigenschaften des Engelwurz (bot. Angelica archangelica) bekannt, vor allem die verdauungsfördernde und beruhigende Wirkung der in den Wurzeln und Samen enthaltenen ätherischen Öle. Die Haut mancher Menschen reagiert allerdings auf Berührung der Pflanze ähnlich allergisch wie bei dem Bärenklau-Gewächs Herkules-Staude, die ebenfalls zur Familie der Doldenblütler (Apiaceae) gehört.

Hintergrund: Kanal im Marais Poitevin

Angélique de Niort

Angélique - himmlisches Wunderkraut

Im Marais Poitevin, den sumpfigen Gebieten der historischen Provinz Poitou (heute u.a. das westfranzösische Département Deux-Sèvres mit Niort als Hauptort), wächst die angélique sehr gut, häufig im Schatten von Pappeln. Die Pflanze soll bereits im 12.Jh. aus Skandinavien nach Mitteleuropa eingewandert sein, wo sie sich wild verbreitete und dann als medizinisches, gegen zahlreiche Krankheiten gewachsenes Kraut vor allem in Klostergärten kultiviert wurde.

Der Engelwurz nahm in der Kräuterheilkunde zeitweise eine Rolle ein wie sie der Ginseng in der asiatischen Medizin hat. Selbst gegen die Pest hat es angeblich geholfen, und die beruhigende Wirkung soll sogar die kirchlich verordnete Keuschheit gefördert haben. 

Vielleicht hat man ihm deshalb den himmlischen Namen des engelsgleichen Krautes verliehen …

Die heilkundige Klosterfrau Hildegard von →Bingen traute dem Engelswurz fast die Kräfte eines Allheilmittels zu.

In Klöstern ist auch im 18.Jh. die Idee entstanden, eine Konservierungsmethode auf die heilende Pflanze anzuwenden, die man mit verschiedensten Früchten bereits lange praktiziert hatte: Das Konfieren bzw. Kandieren in Zucker, französisch confire au sucre.

Die Nonnen eines Klosters in Niort schälten die hohlen Stängel, schnitten sie in fingerlange Stücke und übergossen sie mehrfach mit heißem Zuckersirup, bis dieses durch Osmose das Wasser in den Pflanzenzellen ersetzt hatte.

Das Angélique de Niort ist auch äußerlich von einer weißen Zuckerkruste überzogen, unter der es grün schimmert. Aus der Arznei war eine Süßigkeit geworden, die friandise wird genossen wie ein Lutscher zum Abbeißen.

In der pâtisserie schmückt das Konfekt Torten und anderes Feingebäck oder macht, mit Schokolade, Nougat oder Marzipan vermählt, verschiedene Pralinen zum Geschmackserlebnis. Die Kombination von süß und herb kann man auch in Form von confiture d’angélique auf dem Frühstücksbaguette oder einer Brioche genießen.

Dem liqueur d’angélique de Niort und anderen alkoholischen Getränken verleihen die ätherisch-öligen Extrakte des Engelwurz charakteristische Noten. So wird auch der ratafia, ein in etlichen Weinbauregionen Frankreichs (v.a. Bourgogne und Champagne) hergestellter Likörwein, gerne mit angélique aromatisiert.