Ulis Culinaria

Nîmes

Die Küchen der antiken südfranzösischen Stadt profitieren von der Lage zwischen den Kastanienwäldern der Cevennes im Norden und dem Rhônedelta mit der Camargue und dem Zugang zum Mittelmeer im Süden. Die Römer versorgten Nemausus über ein mehr als 50km langes Aquädukt mit Wasser von der Fontaine d’Eure bei Uzès weiter nördlich. Nur mit Hilfe der Schwerkraft floss das kostbare Nass dabei auch über den Pont du Gard, den spektakulärsten Teil der antiken Meisterleistung in Landvermessung und Ingenieurswesen. Die Wasserleitungsbrücke überspannt in 48m Höhe das Tal des Gard.

In der Nähe dieses Weltkulturerbes der Menschheit stehen Olivenbäume mit mehr als 1.100 Jahresringen. Die Nutzung des Ölbaumes Olea europaea hat die Kultur im Süden Frankreichs ebenso geprägt wie die Kunst der Wasserversorgung.

Wasser und Olivenöl - Lebensgrundlage

Olive de Nîmes

Das Klima im Département Gard (Region Occitanie) begünstigt das Gedeihen der Olive de Nîmes (→AOP 2010), einer widerstandsfähigen und hier entstandenen Sorte mit dem Namen picholine, die nicht nur als ganze Tafelolive in allerlei kalten und warmen Gerichten mundet, sondern auch in Form des aus ihr gepressten Huile d’Olive de Nîmes (AOP 2007). Die Tafeloliven werden vor der Vollreife, also grün geerntet. Auf regionalen Wochenmärkten werden sie noch als offene Ware verkauft, ansonsten als Glaskonserve in Meersalzlake. Die zur Ölgewinnung bestimmten Oliven dürfen etwas weiter reifen, bis ihre Schale sich zu kräftigem Gelbgrün verfärbt hat. 

Huile d'Olive de Nîmes

Die picholine muss mindestens 70% zum fertigen Öl beitragen und gibt ihm die charakteristische leichte Schärfe. Den Namen erhielten die Oliven im 18.Jh., als zwei aus Italien nach Nîmes eingewanderte Olivenbauern namens Piccolini begannen, den grünen Früchten ihre Bitterstoffe durch ein Bad in gekalktem und mit der Asche von Eichen- und Olivenholz vermischtem Wasser zu entziehen. Zunächst wurden die so behandelten Oliven picholines getauft, dann insgesamt die hierfür bevorzugte Sorte.

Entkernt, mit anchois (Sardellen), Kapern und, nach Geschmack, Knoblauch im Mörser zerstampft und mit Olivenöl cremig aufgeschlagen, wird aus vollreifen, schwarzen Oliven eine tapenade.

Die Paste stellt auf gerösteten Brotscheiben eine anregende Vorspeise dar. Tapenade wird im gesamten französischen Süden zubereitet. Die Kapern stellen zwar mengenmäßig nicht die Hauptzutat dar, geben der Creme aber den Namen: Im Okzitanischen heißen sie tapéra oder tapéna.

Tapenade de Nîmes wird sie genannt, wenn auch die oben beschriebenen olives de Nîmes verwendet wurden.

Tapenade de Nîmes

Die Tapenade soll manchen Quellen zufolge erst 1880 vom Koch eines Hotels in Marseille erfunden worden sein, was erstaunt, weil auch in anderen Ländern rund ums Mittelmeer seit jeher Oliven mit diversen Zutaten zu Paste verarbeitet werden. Es sei denn, man wertet den zusätzlichen Einsatz von etwas Thunfisch und einem Schuss Cognac, wie es der Marseiller Kollege praktiziert haben soll, als Neuerfindung. Bei den katalanischen Nachbarn südlich der Pyrenäen z.B. wird eine der Tapenade ähnliche, uralte Zubereitung olivada genannt.

In einer Abwandlung werden grüne Oliven verwendet, wobei meist die anchois weggelassen, dafür aber pignons de pin, Pinienkerne mitgestampft werden.

Die Kabeljaufischer aus den nördlichen Meeren vor den skandinavischen Küsten kamen regelmäßig in die Camargue, um in den Salins du Midi (→Aigues-Mortes) den im Mittelmeer kaum vorkommenden Fisch gegen Salz einzutauschen.

Monsieur Durand, um 1800 Koch im Dienste des Erzbischofs im nahen Alès, kam auf die Idee, den in Salz konservierten und getrockneten Kabeljau (morue) mit heimischen Produkten zu verbinden. Er zerstampfte den gewässerten und zerrupften →Stockfisch mit Milch oder Crème fraîche, Olivenöl, Kräutern, Knoblauch und Zitronensaft zu einer Paste. Das dem provençalischen Dialekt entstammende Wort brandar für das Klopfen des Stößels im Mörser führte zum Namen Brandade de morue de Nîmes

Brandade de morue de Nîmes

Kabeljau

Die Paste wird meist gratiniert und heiß gegessen, aber auch als Füllung von Blätterteigstückchen oder fleurs de courgettes (→Nice), zum Anreichern von Kartoffelpüree, in Kombination mit schwarzen Oliven, als Toastaufstrich und in vielen weiteren Varianten verwendet.

Die Brandade-Masse gibt es in tatsächlich akzeptabler Qualität als Fertigprodukt, was einem die kräfte- und zeitraubende Arbeit des Zerstampfens erspart. Auf keinen Fall aber sollte man aus Bequemlichkeit den Mixer oder Schneidstab benutzen, da dies zu einer unappetitlichen klebrigen Pampe führt.

Nîmes liegt im östlichen Eck der Occitanie. Weiter südwestlich, im Vorland der Pyrenäen, liebt man den kräftigen Bohnen-Fleisch-Eintopf namens →Cassoulet. Ab und zu kommt statt des Fleisches der zerkleinerte Stockfisch in die cassole für ein Cassoulet de morue.

fangfrisch

Stockfisch

Petit Pâté nîmois

Das Stockfisch-Püree kann auch als Füllung für die Petit Pâté nîmois herhalten. Die kleine eiförmige Mürbeteigpastete wurde wohl zu Beginn des 19.Jhs. in Nîmes erfunden und enthält im Original eine Farce aus Kalb- und Schweinefleisch. Die Vorspeise, die man warm oder kalt servieren kann, bekommt man küchenfertig im Lebensmittelmarkt der Halles de Nîmes und in Bäckereien, Fischhandlungen und Metzgereien der Stadt.

Agneau

Unter den Schafrassen (Ovis gmelini aries) Südfrankreichs genießt das Agneau de Nîmes, das als agneau sous la mère (wörtlich: Lamm unter dem Muttertier) im Alter von höchstens vier Monaten zur Schlachtbank muss, wegen seines hellen, delikaten Fleisches besten Ruf. Man unterscheidet zwischen dem agneau léger, dem leichten Lamm, das nach 60 bis 90 Tagen ein Schlachtgewicht von etwa 13/14kg hat, und dem agneau plus lourd (schwereres Lamm), das im Alter von 90 bis 120 Tagen bis zu 33kg auf die Waage des Metzgers bringt. Sous la mère bedeutet, dass das junge Schaf zwar noch, aber nicht mehr ausschließlich von der Muttermilch lebt. Seltener werden auch Lämmer vor dem 60. Lebenstag geschlachtet, die nur Milch trinken und deshalb als agneau de lait (Milchlamm) bezeichnet werden.

Lange wurden im Süden Europas Schafe vor allem als Wolllieferanten gehalten und in der Regel erst geschlachtet, wenn die Wollausbeute nachließ.

de Nîmes

Ihr Fleisch galt als minderwertig gegenüber dem von Rind und Schwein und landete vor allem auf den Tischen der ärmeren Landbevölkerung. Erst im 17./18.Jh. richtete sich das Augenmerk der Schafzüchter verstärkt auf die Fleischqualität. Es entstanden Schafrassen, die in großen Wanderherden von der kräuterreichen Heidevegetation der causses, der Hochebenen entlang des Gard, in den Cévennes oder in den Höhenlagen der Pyrénées lebten. Nun begann man auch das zarte, noch nicht zu sehr vom unangenehmen Hammelgeschmack belastete Fleisch von agneaux sous la mère zu schätzen.

Die Herdenhaltung von Schafen hat allerdings in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen. Die Wolle ist kaum noch rentabel zu vermarkten. Verbauung der Weidegebiete durch Siedlungen, industrielle Landwirtschaft und Verkehrswege sowie die Schwierigkeit, Nachwuchs für den Beruf des Schäfers zu finden, haben den Anblick großer Schafherden in der Landschaft selten gemacht. Die Stallhaltung mit wenig Auslauf und viel Kunstfutter kann die Fleischqualität der Weidetiere nicht ersetzen. Zudem fällt die landschaftspflegerische Rolle der Herden weg, was die Gebiete verwalden lässt und eine der Ursachen für die zunehmenden Waldbrände ist. Gegen diesen Trend gibt es hoffnungsvolle Bemühungen, bei denen der Feinschmecker durchaus einen bescheidenen Beitrag leisten kann, indem er bereit ist, für das aromatische Fleisch von frei weidenden Schafen auch den angemessenen Preis zu bezahlen. Zu dieser Fleischqualität trägt auch das Agneau de Nîmes bei.

Fraises de Nîmes

Bereits Mitte März beginnt die Ernte der Fraises de Nîmes, besonders aromatischer Erdbeeren mit den Varietäten Gariguette und Ciflorette. Die zum Großteil im Gewächshaus reifenden Früchte stehen seit 2013 unter dem Schutz einer →IGP. Der geschützte Anbau vermeidet Schäden durch den kalten Nordwind mistral, die Regenarmut der Region wird durch künstliche Bewässerung ausgeglichen.

Botanisch betrachtet sind Erdbeeren Nussfrüchte, bei denen die Nüsschen als kleine gelbe Kerne in das rote Scheinfruchtfleisch eingebettet sind. Diese Nüsschen schmecken leicht pfeffrig, weshalb ein paar Mühlendrehungen von schwarzem Pfeffer über frisch geschnittenen Erdbeeren deren Eigenaroma durchaus unterstützen können.

Alle in Europa angebauten Sorten der Gattung Fragaria stammen von zwei Arten ab, die nach Kolumbus aus der Neuen Welt kamen: Die Chilenische (Fragaria chiloensis) und die Scharlach-Erdbeere (Fragaria virginiana). Bis dahin kannte man hierzulande nur die wild wachsende und begrenzt kultivierbare Fragaria vesca, die kleinfrüchtige Walderdbeere. Aus den beiden amerikanischen Einwanderern wurde in den Gärten des Sonnenkönigs Louis XIV die Mutter aller heute etwa 20 Kulturerdbeeren gekreuzt, die Fragaria ananassa. Zu dieser Art gehören auch die zinnoberrote Gariguette und die ziegelrote Ciflorette, die mit IGP in 28 Gemeinden des Départements Gard angebaut werden. Sie sind bei den europaweit frühesten Erdbeerernten dabei und wegen ihrer festen Konsistenz und ihres intensiven Geschmacks in allen Küchen und Backstuben beliebt. Eine einfache, aber effektvolle Weise, sie zu genießen, ist die tarte de fraises, wozu ein Mürbeteigboden mit Frischkäse bestrichen und mit den halbierten Früchten belegt wird. Die Gariguette als die süßere der beiden wird gerne mit weißem Balsamessig püriert und, begleitet von knusprigem Mandelgebäck, als kalte soupe de fraises serviert.