Ulis Culinaria

Nancy

Der lothringische Herzog René II. war im 15. Jh. auch einige Jahre König von Sizilien. Von dort gelangte die bergamote, eine Zitrusfrucht (Citrus bergamia, auf Deutsch Bergamotte), nach Nancy, heute Hauptstadt des Départements Meurthe-et-Moselle (Grand-Est). 

Bergamotes de Nancy

Sprachwissenschaftler leiten den Namen der Frucht ab vom alttürkischen beg armudı (oder berg armuth), was wörtlich Birne des Herrn/des Bey heißt und tatsächlich eine alte Birnensorte bezeichnete, die man noch heute als Bergamotte-Birne oder Prinzenbirne kennt. Zur Übertragung des Namens auf die Zitrusfrucht hat wohl deren birnenförmige Gestalt geführt. Im Italienischen nennt man die Frucht bergamotta, die französische Schreibweise mit nur einem t hat sich in Wörterbüchern seit dem 18.Jh. eingebürgert. Es wird auch behauptet, die Bergamotte sei von Pilgern aus Italien mitgebracht wurden, die im Kloster von Saint-Nicolas-de-Port im Süden von Nancy eine Reliquie des Heiligen Nikolaus aufsuchten. Und auch hier ein Hinweis auf die Türkei: Nikolaus war im 2./3.Jh. Bischof im südtürkischen Myra. Im Christentum wird er am 6. Dezember, dem Nikolaustag geehrt und gilt als Schutzpatron der Lorraine.

Bergamotte-Öl

Die wärmeliebende, immergrüne Pflanze gedeiht allerdings nicht gut in kühlen Gegenden wie dem Nordosten Frankreichs. Man war hier aber eh nicht besonders an den als Tafelobst ungenießbaren, weil sehr bitteren Früchten interessiert. Vielmehr ging es um die stark duftenden ätherischen Öle, die man aus ihrer Schale durch Kaltpressung gewinnen kann. Die Bergamotte ist wahrscheinlich im 14./15.Jh. aus einer Zufallskreuzung der Bitterorange Citrus aurantium (→Sevilla) mit einer anderen Zitrusfrucht entstanden. Hauptangebiet ist die Reggio Calabria, die Zehenspitze des italienischen Stiefels. Hier werden bis heute die begehrtesten Bergamotte-Öle gewonnen und in alle Welt exportiert. Sie wurden auch in weiter nördlich gelegenen Regionen Europas schon früh genutzt: z.B. zur Parfümherstellung (typisch z.B. für Eau-de-Cologne) oder als Backzutat wie bei den→madeleines aus Commercy westlich von Nancy. Auch der schwarze Tee Earl →Grey erhält seinen charakteristischen Geschmack durch Bergamotte-Öl.

Bergamotes de Nancy

Bergamotes de Nancy

Und: Confisiers in Nancy verwenden das duftende Öl zur Aromatisierung von bernsteinfarbenen, kissenförmigen Zuckerbonbons, die als Bergamotes de Nancy seit dem Jahr 1996 mit →IGP-Siegel namentlich geschützt sind. Einige Quellen schreiben diese Nutzung Joseph Gilliers zu, dem Mundschenk des lothringischen Herzogs Stanislas Leszczynski (s.u.). Wahrscheinlicher und besser belegt: 1857 soll es der aus Württemberg nach Nancy umgezogene Zuckerbäcker Johannn Friedrich Gottfried Lillich (unter den französisierten Vornamen Jean, Frédéric und Godefroy) gewesen sein, der in seiner confiserie als erster Bonbons mit den Öl-Essenzen der Bergamotte aromatisierte. Bei der Exposition Internationale de Nancy 1909 wurden sie erstmals unter der heute als IGP geschützten Bezeichnung präsentiert und erlangten internationale Bekanntheit. Die schmucken Blechdöschen, in denen sie verpackt sind, tragen meist historische Darstellungen der berühmten Place Stanislas, dem architektonischen Aushängeschild von Nancy.

Nur vier Betriebe sind zur Auszeichnung ihrer Bergamotes mit dem IGP-Siegel berechtigt. Einer davon steht namentlich auch für die folgende Süßigkeit.

Bei einer zweiten Süßigkeit, nämlich den längst in der gesamten französischen pâtisserie vertretenen →macarons, streitet sich Nancy mit einer anderen lothringischen Gemeinde, mit →Boulay-Moselle, um die Urheberschaft. Caterina de Medici aus Florenz, nach ihrer Heirat mit Henri II ab 1547 Königin von Frankreich und mehrfache Königsmutter, brachte zahlreiche Rezepte der italienischen Kochkunst (und dazu passende, gehobenere Tischsitten) mit und gilt deshalb als eine Begründerin der französischen Küchenkultur in der Renaissance (→Chantilly). Zu den Spezialitäten zählten auch maccherone, knusprige, im Inneren cremig zarte Plätzchen aus Eischnee, Zucker und gemahlenen Mandeln. Etliche Angehörige der Versailler Königsfamilie erhielten lukrative Pöstchen in der französischen Provinz und nahmen höfische Annehmlichkeiten mit, natürlich auch kulinarische. Cathérine de Lorraine, eine Enkelin von Katharina de Medici, gründete das Kloster der Dames du Saint Sacrement de Nancy, in dem Süßgebäcke mit nahrhaften Nüssen als Fastenspeise galten.

Macarons de Nancy

foto r.datin

Auch Joseph Gilliers, der Mundschenk (officier de bouche) von Stanislas Leszczynski (Schwiegervater von Louis XV, ab 1737 Duc de Lorraine und Namensgeber des o.g. Platzes), zählte die italienischen Mandelmakronen zu seinem Repertoire.

Als Macarons de Nancy sollen sie der Legende nach seit dem Jahr 1793 von Marguerite-Suzanne Gaillot und Marie-Elisabeth Morlot gebacken worden sein. Die beiden Nonnen waren im Zuge der Französischen Revolution aus dem Kloster der Dames du Saint Sacrement de Nancy vertrieben worden.

Sie fanden Unterschlupf bei einem Arzt, in dessen Haus sie die Produktion von Mandelmakronen derart ausweiteten, dass sie bald als sœurs macarons (Makronenschwestern) bekannt wurden, ihre Bäckerei entwickelte sich zu einem erfolgreichen Geschäft. Das Sträßchen, in dem das Haus des Arztes stand, heißt heute rue des sœurs macarons. Eine Pâtisserie, die sich Maison des Sœurs Macarons nennt, beansprucht für sich, das Originalrezept der Makronenschwesten zu bewahren. Und sie gehört zu den Vieren, die die Lizenz für die oben beschriebenen IGP-Bergamotes besitzen.

Der Begriff

macaron/Makrone 

geht, wie auch die Pasta-Sorte →maccheroni/Makkaroni, auf ein uraltes griechisches Gericht zurück:

makaria bezeichnete eine Suppe mit kleinen Mehlklößchen als Einlage.

Mirabelles de Nancy

Die Königin der regionalen Obstbauern ist ohne Zweifel die Mirabelle de Nancy, die zusammen mit ihrem etwas kleineren Pendant aus →Metz unter der Bezeichnung Mirabelle de Lorraine ein →IGP-Siegel trägt. Die ersten, aus Asien eingeführten Bäume der Sorte wurden wohl unter René Ier d’Anjou im 15. Jh. in Lothringen gepflanzt, dem Großvater von René II (s.o.).

Nicht umsonst gehören die beiden lothringischen Varietäten der kleinen gelben Pflaumenart Prunus domestica syriaca zu den meistangebauten Mirabellen in Europa. Alleine in Lothringen selbst werden mit rund 15.000t Jahresernte fast 90% der Weltproduktion der goldgelben Früchtchen erzielt. Ein Grund für die enorme Ausweitung der hiesigen Mirabellenkultur liegt im Niedergang des Weinbaus Ende des 19.Jhs. Auf der Suche nach einer neuen, für die Destillation von eau-de-vie geeigneten Frucht bot sich die Mirabelle mit ihrem hohen Zuckergehalt an. Bis heute dient etwa ein Zehntel der Ernte diesem Zweck. Ein Viertel wird als Tafelobst genossen, der Großteil wird zu Konfitüren oder in Pâtisserie und Süßwarenherstellung verarbeitet.

2006 wurde bei der fête de la mirabelle auf der Place Stanislas la plus longue tarte aux mirabelles du monde gebacken, der mit 325,45m längste Mirabellenkuchen der Welt. Damit wurde die neue Schnellbahnstrecke des TGV Est mit der Reisegeschwindigkeit von rund 320km/h gefeiert, die die Lorraine mit dem übrigen französischen TGV-Netz (Train à Grande Vitesse) verbindet.