Ulis Culinaria

Morteau

Saucisse de Morteau

Das für seine Uhrmacherkunst bekannte Städtchen liegt kurz vor der Grenze zur Schweiz in den französischen Nordwest-Alpen der Franche-Comté. In einem felsigen Taleinschnitt mäandert das Flüsschen Défilé d’Entre-Roches so still an dem Ort vorbei, dass es die Römer mortua aqua nannten. Wörtlich ins Französische übersetzt: eau morte, totes Wasser, was sich hier auf den ruhigen Lauf des Baches bezieht. Der Ortsname dreht die beiden Wörter zu Morteau. Eine vergleichbare Ortsbenennung findet man zwischen den stehenden Gewässern der Camargue mit →Aigues-Mortes.

Hier werden zwei für das Haut-Doubs, den höher gelegenen Teil des Départements Doubs typische Wurstspezialitäten hergestellt. Sie erhalten durch das Räuchern im tuyé (auch tué, tuhé oder thué geschrieben) über Glut von harzreichen Nadelhölzern ihren besonderen Geschmack. Dieses für die Jura-Region der Franche-Comté typische, ausgeklügelte Kaminsystem verbindet die Ofenrohre der verschiedenen Feuerstellen des meist zweistöckigen Bergbauernhauses miteinander, um den gesamten Rauch schließlich in einen turmartigen, sich nach oben verjüngenden Kamin zu leiten, der das Obergeschoss durchdringt und dessen Abschluss aus dem Dach herausragt.

Le Tuyé

An dem trapezförmigen Türmchen mit den verstellbaren Windklappen sind Bauernhäuser, die über ein Tuyé verfügen, von weitem erkennbar. Das Wort tuyé wird auf den französischen Begriff tuyau de poêle für Ofenrohr zurückgeführt. Die Räucherung im unteren Bereich des Systems dauert länger als in speziellen Räucheröfen, dafür dringen die konservierenden Substanzen und vor allem die Aromen des Rauches tiefer in Wurst oder Schinken ein. Da sich unter dem großen Kamin die Feuerstelle zum Kochen und zum Heizen befindet, stellt er zudem das wohnliche Zentrum, die Seele des Hauses dar.

Im Haut-Doubs kommt aus dem Tuyé die Jésus de Morteau, eine kurze und kompakte Schweinefleischwurst. Häufig wird sie auch Jésu, also ohne das s am Ende geschrieben, manche sagen, aus Respekt vor dem Namen des christlichen Gottessohnes. Wie ihr Namensvetter aus →Lyon zeichnet sie sich durch ein Querhölzchen aus, das den Naturdarm verschließt. Das Stäbchen erinnert an den Querbalken eines Kruzifix‘, woraus sich der Name erklärt. Eine andere Version leitet den Namen vom Weihnachtsfest ab, zu dem die Jésu traditionell hergestellt wurde.

Jésu de Morteau

Das Hölzchen verschließt auch das eine Ende einer Saucisse de Morteau, die seit etwa 500 Jahren auch als Belle de Morteau oder einfach Morteau hergestellt wird. Das andere Ende wird mit Schnur abgebunden. Die Jésu ist mit etwa 65mm meist etwas dicker als die Saucisse (~40mm), vor allem wenn sie in den etwas unförmigen Blinddarm abgefüllt wird.

Das Brät für beide Würste stammt von Schweinen, die in der Franche-Comté nach strengen Qualitätskriterien aufgezogen und geschlachtet wurden.

Ein wichtiger regionaler landwirtschaftlicher Faktor ist die Milchwirtschaft. Die in den zahlreichen Käsereien entstehende Molke wird an die Schweine verfüttert, was dem Fleisch, vor allem aber dem Fett besondere Qualität verleiht. Zu 65-85% mageres Muskelfleisch und 15-35% Fettgewebe werden nicht zu fein zerkleinert, sodass in der fertigen Wurst die hellen Fettstückchen im rötlichen Brät durch die Naturdarm-Pelle schimmern. Außer Salz und Pfeffer kommen weitere natürliche Gewürze hinzu, oft ist Anis dabei.

Bis ins 18.Jh. wurden die Würste hauptsächlich für den Eigenbedarf, vor allem als Wintervorrat und für das Weihnachtsessen, hergestellt. Nach und nach entwickelte sich durch Reisende und Händler steigendes Interesse, was zu Nachahmungen in anderen Gegenden führte. 

Zunächst bot ab 1977 ein regionales Label etwas Schutz.

Mit der 2010 erteilten →IGP für beide Produkte kann der Feinschmecker nun sicher sein, auch die wirkliche saucisse bzw. Jésu de Morteau auf dem Teller zu haben.Eine spezielle →association überwacht die Einhaltung der IGP-Kriterien und unterstützt die Hersteller bei der Vermarktung. Vor dem Verzehr wird sie meist in siedendem Wasser langsam erhitzt, wobei sie eine zarte, aber zugleich feste Konsistenz bekommt und der intensive Rauchgeschmack etwas abgemildert wird. Mit Kartoffelpüree und allerlei Gemüse, in Suppen und Eintöpfen, kombiniert mit den zahlreichen regionalen Käsespezialitäten oder, wieder erkaltet, als würziger Wurstsalat bietet sie eine beachtliche kulinarische Vielfalt.

Gut 50km nördlich von Morteau, in →Montbéliard, werden ebenfalls IGP-prämierte Schweinewürste im Tuyé geräuchert.