Ulis Culinaria

Lausanne

Die Stadt in der frankophonen Schweiz am Nordufer des Lac Leman (Genfer See) rühmt sich einer überproportionalen Dichte an sternedekorierten Köchen mit den dazugehörenden Restaurants.

Im Unterschied zur oft etwas handfesteren Küche der deutschsprachigen Eidgenossen geht es z.B. auch beim

Ris de veau à la lausannoise

etwas filigraner zu. Sanft gebratenes Kalbsbries (ris de veau) wird tranchiert und zusammen mit gewürfelter, zart gepökelter Kalbszunge, →Duxelles und Madeirasauce angerichtet.

Ris de veau à la lausannoise

Kalbsbries à la Lausanne

Bries (frz. ris, ital. animella, engl. sweetbread) ist das anatomisch Thymus genannte Organ des Immunsystems von jungen Wirbeltieren, also auch des Menschen, das im oberen Brustbereich beim Herzen sitzt. Es bildet sich zurück, wenn die Immunabwehr voll entwickelt ist, beim Menschen ist das etwa die Zeit der Pubertät. Die alten Griechen bezeichneten mit thymos die Energie, die uns am Leben hält. Auch das im Mittelmeerraum beheimatete Würzkraut Thymian (botanisch Thymus) wird schon in antiken Schriften als thymó erwähnt, weil man ihm offensichtlich ebenfalls Lebenskraft zutraute.

Bries, ein zartes Energiebündel

rohes Kalbsbries

Kulinarisch bedeutsam ist das zarte, in seiner Struktur an Hirn erinnernde, etwa ein Pfund schwere Bries vom Kalb, aber auch das kleinere vom Lamm. Bei diesen Tieren verschwindet das Organ nach der Entwöhnung von der Muttermilch. Es zählt wie viele Innereien zu den sog. Schlachtabfällen (frz. abats), die als Nahrungsmittel etwas aus der Mode gekommen sind und die man deshalb leider nur noch selten in der Metzgereiauslage findet.

Dazu kommt eine etwas aufwändige Vorbereitung: Ein längeres Wasserbad löst Verunreinigungen und erst nach kurzem Blanchieren bekommt es die zur Weiterverarbeitung nötige festere Konsistenz. Diese kann unterstützt werden, indem man das Bries während des Abkühlens im Eiswasser mit einem Gewicht beschwert. Und dann müssen noch die knorpeligen Stellen und die feinen Häutchen vorsichtig entfernt werden. In der Regel bekommt man Bries nur nach Vorbestellung beim Metzger, der einem dafür aber evt. einen Teil der kniffligen Vorarbeiten abnimmt.

zart gebraten mit Spargel und Artischockenherzen

Aber die Mühe lohnt sich durchaus: Wie in Lausanne wird das Kalbsbries meistens zart in Butter gebraten und entfaltet so seinen feinen, leicht nussigen Geschmack (vgl. die englische Bezeichnung süßes Brot!). Man kann es auch pochieren, dünsten, sogar grillen, oder man fügt es feinen →Pastetenfüllungen bei. Im Kalbsgeschnetzelten aus →Zürich wird es mitgeschmort. Bei einem Küchenklassiker, dem ragout fin, ist das ris de veau neben Hirn, Fleisch, Mark und Zunge vom Kalb fester Bestandteil und wird als feines Ragout in einer hellen Sahnesauce mit Weißwein und Champignons als Vorspeise serviert. Hierin ähnelt es dann wieder der Version à la lausannoise.