Ulis Culinaria

Krautergersheim

Auch unser edles Sauerkraut,

wir sollten’s nicht vergessen

Ein Deutscher hat’s zuerst gebraut,

Drum ist’s ein deutsches Essen.

Wenn solch‘ ein Fleischchen weiß und mild

Im Kraute liegt, das ist ein Bild

Wie Venus in den Rosen.

Mit diesen Verszeilen hat der Dichter Ludwig Uhland in seinem Metzelsuppenlied 1815 ein Nahrungsmittel als deutsche Erfindung vereinnahmt, von dem man mittlerweile weiß, dass es im Prinzip schon uralt, jedenfalls älter als Deutschland ist.

Auch für seinen Vergleich der Fleischeinlage mit der Schönheitsgöttin →Venus würde der Romantiker heute sicher ein paar auf die federführenden Finger bekommen.

Aber in seiner Wertschätzung des oft geschmähten Sauerkrautes  kann ich ihm nur beipflichten …!

Sauerkraut

Sürkrüt

Choucroute

Milchsäuregärung

Lange bevor die neuzeitliche Biochemie die Milchsäuregärung erklären konnte, haben Menschen das Ergebnis solcher Prozesse genutzt. Archäologen haben das schon für die Steinzeit nachweisen können. Aufzeichnungen von klugen Menschen der griechischen Antike beschreiben bereits den besonderen gesundheitlichen Wert von pflanzlicher Kost, die durch Säuerung verändert wurde. Sicher war bei den ersten durch Milchsäurebakterien entstandenen Lebensmitteln – wie bei manchen anderen kulinarischen Erfindungen auch – weniger Planung als Zufall im Spiel. Sonst ließe sich kaum erklären, dass sich die Nutzung der speziellen Gärung unabhängig voneinander in verschiedenen Kulturen entwickelt hat. So ist z. B. in Japan durch Milchsäurebakterien fermentiertes Gemüse als tsukemono seit Urzeiten bekannt, in Korea nennt man es kimchi. Auch Joghurt & Co. sind wohl eher das Ergebnis versehentlich stehengelassener Milch als planmäßigen Vorgehens.

Ähnlich ist wahrscheinlich der Sauerteig entstanden, seit Jahrtausenden Basis der Brotbäckerei. Systematische Nutzung der Gärung mit Milchsäure hat uns schließlich saure Bohnen, die deftige Salzgurke und ähnliche Produkte beschert. Und unser enormer Fleischkonsum ist nicht denkbar ohne die Nutzung von Pflanzen, die durch Fermentierung im Silo zur Silage, also zu Tierfutter geworden sind.

Lebensmittel werden durch das Verfahren nicht nur bekömmlicher, sondern auch haltbarer. Das haben Seeleute genutzt, indem sie mit Sauerkraut gefüllte Fässer als Schiffsproviant an Bord nahmen. Der bei der Fermentierung entstandene und durch Erhitzen verstärkte hohe Gehalt an Vitamin C im Sauerkraut ersparte zudem so manchem Seefahrer auf großer Fahrt den Verlust seiner Zähne oder gar den Tod durch die gefürchtete Mangelkrankheit Skorbut. Aus dem gleichen Grund diente es auch der Landbevölkerung als winterliche, vitaminreiche Kost.

… Eben geht mit einem Teller / Witwe Bolte in den Keller / Dass sie von dem Sauerkohle / eine Portion sich hole / wofür sie besonders schwärmt / wenn er wieder aufgewärmt …

Wilhelm Busch, Max und Moritz

Wieso und wann sich gerade das Sauerkraut, also fein gehobeltes und milchsäurevergorenes Weißkraut, zum angeblich so typisch deutschen Grundnahrungsmittel gemausert hat, weiß heute keiner mehr so richtig zu erklären. Dass wegen dieser Annahme deutsche Soldaten der beiden Weltkriege vor allem von Amerikanern und Briten als Krauts verspottet wurden, ist hinlänglich bekannt. 

deutsche "Sauerkrautfresser"?

Aber der oben zitierte Dichter Uhland oder die gute Witwe Bolte, die bei Wilhelm Busch für den Sauerkohle … besonders schwärmt, wenn er wieder aufgewärmt, haben die Vorstellung vom deutschen Sauerkraut(fr)esser natürlich bestärkt.

Tatsächlich hat sich das Sauerkraut eher im südlichen Mittel- und Osteuropa breit gemacht, obwohl der Grundstoff, der Weißkohl (Brassica oleracea convar. capitata var. alba) im Norden Europas genauso gut gedeiht. In der Küche Österreichs und Ungarns gehört es zum festen Speiseplan (→Szeged) ebenso wie in Rumänien (→Cluj-Napoka) oder Tschechien (→Nošovice). Hessen, Bayern oder Pfälzer kombinieren es gerne mit einem anderen als typisch deutsch geltenden Genuss, mit der Bratwurst. In den schwäbischen Fildern südlich von Stuttgart hat sich als spezielle Variante das Filderkraut entwickelt, das aus Spitzkohl entsteht.

Häufig wird dem Sauerkraut noch Wein zugefügt, worauf man es als Weinkraut genießt. Und beiderseits des Oberrheins kann man mit Recht von einer Sauerkrautkultur reden. Tübingen, der Heimatort von Ludwig Uhland, liegt gerade mal rund 30km entfernt von besagten Fildern.

Das französische Alsace, immer mal wieder als Elsass zu Deutschland gehörend, kennt es im alemannischen Dialekt als Sürkrüt, französischsprachig heißt es choucroute. Das Wort vereint den französischen Begriff chou für Kohl und das elsässische Krut (Kraut), also: Kohlkraut!

Choucroute garnie

Kein elsässisches Restaurant, ob in Strasbourg, Paris, Berlin oder sonstwo auf der Welt, das nicht

choucroute garnie

auf der Speisekarte hätte. Diese aus viel Fleisch (frisch aus der Schlachtung und als →Kasseler gepökelt) und Würsten bestehende Schlachtplatte wird auf einem dampfenden Berg Sauerkraut serviert.

Ein Stück weiter südlich im schweizerischen →Bern bekommt man ein ähnlich üppiges Mahl als Berner Platte. Aber auch in anderen Regionen gehörte Sauerkraut unbedingt zum Fleisch und zu den frischen Würsten, die man bei der winterlichen Hausschlachtung aus dem Sudkessel fischte.

Und umgekehrt schwören viele Elsässerinnen und Elsässer darauf, dass zu den Würsten, die den Sauerkrautberg krönen, unbedingt die →Saucisse de Montbéliard aus der benachbarten Franche-Comté gehört.

Sauerkraut-Messe

Jedes Jahr am letzten Septemberwochenende findet in dem Dorf nahe dem elsässischen Obernai die Krautergersheimer Sauerkrautmesse statt, bei der der fermentierte Weißkohl in unterschiedlichsten Variationen zur Verkostung angeboten wird und mit einem großen Festumzug geehrt wird. Somit gilt der kleine Ort an der touristischen Route de la Choucroute nicht nur wegen seines passenden Namens als die Sauerkrauthochburg des Alsace. Gemäß dem französischen Wort chou für Kohl/Kraut werden die Einwohner Chouvillois/es genannt.

Route de la Choucroute

Die Sauerkrautroute beginnt am Canal du Rhône au Rhin in Erstein, wenige Kilometer südlich von Strasbourg, führt an den Osthängen der Vogesen durch die Weinberge und in der Rheinebene durch Gemüsefelder und Obstplantagen, bis sie zwischen den malerischen Fachwerkhäusern von Sélestat, unter der imposanten Haut-Kœnigsbourg, endet. Und in Krautergersheim wie in jedem anderen Ort unterwegs lässt sich natürlich ausgiebig die Kombination von choucroute mit den berühmten weißen vins d’Alsace genießen. Vor allem der charakterstarke Riesling lässt sich von der Säure des Krautes nicht so leicht geschmacklich unterkriegen. Wer dagegen zu dem deftigen Mahl ein frisch gezapftes Bier bevorzugt, kann sich auf die elsässische Brauerei-Tradition verlassen.

Der Namensteil Kraut in Krautergersheim bezeichnet etymologisch tatsächlich den Kohl, der seit jeher hier angebaut und aus dem das Sauerkraut hergestellt wird.

Anders in Krautwiller, etwa 30km weiter nördlich: Da ist das Kraut aus dem altgermanischen Vornamen Grothold entstanden, also Grotholds Dorf. Dafür hat man dort einen prächtigen, saftig grünen Krautkopf ins Ortswappen gesetzt!