Ulis Culinaria

Grasse

Die Stadt der Duft-Künstler

Seit dem Mittelalter werden in dem südfranzösischen Städtchen, von der Côte d’Azur nur durch Cannes getrennt, Duftstoffe aus Blüten gewonnen. Am Rande der capitale mondiale du parfum befindet sich die domaine de Macron, in deren Garten man eine große Auswahl an Pflanzen findet, die hierfür genutzt werden, vor allem Rosen und Jasmin. Die violetten Reihen der Lavendelfelder gehören zu den beliebtesten provençalischen Motiven der Malerei und Fotografie. Die ätherischen Öle entzieht man den Blüten durch die enfleurage à froid. Dabei werden die Blütenblätter zwischen zwei Glasplatten mit geruchsneutralem tierischem oder pflanzlichem Fett in Berührung gebracht, das die Duftstoffe aufnimmt. Die Blüten werden immer wieder erneuert, bis das Fett ausreichend gesättigt ist, um schließlich mit Alkohol die essence absolue, den reinen und extrem kostbaren Duftstoff, auszuwaschen, die Basis jeder Parfümherstellung. Schneller und kostengünstiger geht es mit der enfleurage à chaud, bei der das Fett mit den Blüten auf bis zu 60°C erhitzt  wird. Der große Nachteil: Viele Duftstoffe verflüchtigen sich bei Hitze ganz rasch oder nehmen unangenehme Veränderungen an.

enfleurage

Über die Kunst der Parfümerie kann man sich im →Musée international de la parfumerie in Grasse (auch mit deutschsprachiger Webseite) informieren. Diese Kunst wurde 2018 von der UNESCO als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt.

Die "Orgel" eines Parfümeurs

Oder man liest Das Parfüm von Patrick Süskind. In dem historischen Kriminalroman wird detailliert beschrieben, wie der Parfumeur Jean-Baptiste Grenouille in Grasse versucht, durch die Enfleurage die körpereigene Duftessenz junger Frauen zu gewinnen und dafür als Serienmörder zum Tode verurteilt wird. Sein Ziel ist die Kreation eines absoluten Aphrodisiakums.

Grenouille hatte in Paris als Kind in einer Gerberei gearbeitet. Auch in Grasse ist die Verbindung dieses Gewerbes zum Parfüm historisch:

Wegen der unangenehmen Gerüche der Gerbsubstanzen reinigte man die Pelze und Lederwaren, für deren Qualität Grasse berühmt war, in Duftblütenbädern. Die aus dem Orient übernommene Methode wurde schließlich Grundlage der Parfümerie, für die Grasse heute als Welthauptstadt gilt.

Grenouille entkommt übrigens dem Tod, indem er kurz vor seiner Hinrichtung mit einem einzigen kleinen Tropfen seines Wunderparfüms die gesamte Bevölkerung von Grasse in erotische Ekstase versetzt.

Fougassette de Foix - parfümiertes Brot

Aus den Blüten des Bitterorangen-Baumes (→Sevilla) wird huile oder eau de fleur d’oranger, Orangenblütenöl bzw. -wasser destilliert. Es findet neben der Parfümerie auch vielfältige Verwendung im kulinarischen Sektor, vor allem bei der Herstellung von Pralinen oder in der pâtisserie.

In Grasse wird eine kleinere Variante der fougasse gebacken, dieses in ganz Südfrankreich beliebten, meist herzhaften Hefeteigfladens (→Foix). Hier wird daraus eine Süßspeise. Für die Fougassette de Grasse wird ein aus Weizenmehl, Olivenöl, Zucker und Ei gekneteter Hefeteig mit Orangenblütenwasser aromatisiert und zu kleinen ovalen Fladen geformt.

In die Fougassettes werden, um ein gleichmäßigeres Durchbacken und das spätere Zerteilen zu erleichtern, Löcher geschnitten. Dies sind, nicht nur in frommen Backstuben, oft sieben an der Zahl, die nach christlicher Symbolik die Gesichtsöffnungen (Augen, Ohren, Mund und Nasenlöcher) von Jesus Christus versinnbildlichen sollen. Beim Genuss herrscht glücklicherweise absolute Religionsfreiheit.

Das süße Gebäck nimmt gerne an der Versammlung der treize desserts teil, den 13 Nachspeisen, die das traditionelle provençalische Weihnachtsmenü beschließen, das gros souper (→Aigues-Mortes).