Ulis Culinaria

Grasse

Seit dem Mittelalter werden in dem südfranzösischen Städtchen, von der Côte d’Azur nur durch Cannes getrennt, Duftstoffe aus Blüten gewonnen. Am Rande der

capitale mondiale du parfum

befindet sich die domaine de Macron, in deren Garten man eine große Auswahl an Pflanzen findet, die hierfür genutzt werden, vor allem Rosen und Jasmin.

Die violetten Reihen der Lavendelfelder gehören zu den beliebtesten provençalischen Motiven der Malerei und Fotografie. 

Stadt der Düfte

Die ätherischen Öle entzieht man den Blüten durch die enfleurage à froid. Dabei werden die Blütenblätter zwischen zwei Glasplatten mit geruchsneutralem tierischem oder pflanzlichem Fett in Berührung gebracht, das die Duftstoffe aufnimmt. Die Blüten werden immer wieder erneuert, bis das Fett ausreichend gesättigt ist, um schließlich mit Alkohol die essence absolue, den reinen und extrem kostbaren Duftstoff, auszuwaschen, die Basis jeder Parfümherstellung. Schneller und kostengünstiger geht es mit der enfleurage à chaud, bei der das Fett mit den Blüten auf bis zu 60°C erhitzt  wird. Der große Nachteil: Viele Duftstoffe verflüchtigen sich bei Hitze ganz rasch oder nehmen unangenehme Veränderungen an.

enfleurage

enfleurage

essence absolue

Die Methode der Enfleurage spielt auch eine zentrale Rolle in Das Parfum von Patrick Süskind. In dem historischen Kriminalroman (seit 2006 auch in einer sehenswerten Verfilmung von Bernd Eichinger!) wird detailliert beschrieben, wie der Parfumeur Jean-Baptiste Grenouille in Grasse versucht, durch die Enfleurage die körpereigene Duftessenz junger Frauen zu gewinnen und dafür als Serienmörder zum Tode verurteilt wird (*). Sein Ziel ist die Kreation eines absoluten →Aphrodisiakums,der essence absolue des menschlichen Körpers.

Duft, Mord und Ekstase

Grenouille hatte in Paris als Kind in einer Gerberei gearbeitet. Auch in Grasse ist die Verbindung dieses Gewerbes zum Parfüm historisch:

Wegen der unangenehmen Gerüche der Gerbsubstanzen reinigte man die Pelze und Lederwaren, für deren Qualität Grasse berühmt war, in Duftblütenbädern. Die aus dem Orient übernommene Methode wurde schließlich Grundlage der Parfümerie, für die Grasse heute als Welthauptstadt gilt.

(*)     Grenouille entkommt übrigens dem Tod, indem er kurz vor seiner Hinrichtung mit einem einzigen kleinen Tropfen seines Wunderparfüms die gesamte Bevölkerung von Grasse in erotische Ekstase versetzt.

Parfümerie und Küche

Über die Kunst der Parfümerie kann man sich im →Musée international de la parfumerie in Grasse (auch mit deutschsprachiger Webseite) informieren. Diese Kunst wurde 2018 von der UNESCO als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt.

Ein großer Teil der Düfte, mit denen der Parfümeur spielt, bestimmt auch darüber, ob uns eine Speise schmeckt. Bekanntlich wäre unsere Geschmackswahrnehmung ohne eine funktionierende Nase fast bei Null. Den Test mit dem Biss in den Apfel und in die rohe Zwiebel bei zugehaltener Nase haben sicher die meisten schon im Kindesalter absolviert.

Die "Orgel" eines Parfümeurs
Gewürzstand in Istanbul

Düfte und Geschmack

Deshalb verwundert es nicht, dass sich unter den zig Flacons einer wohlausgestatteten Orgel, an der der Parfümeur seine Kreationen komponiert, eine Menge der Aromen finden, die der Koch in seinem mehr oder weniger reichhaltigen Gewürzregal zur Auswahl hat. Von Apfel und Asant über alle möglichen Kräuter, Wurzeln und Samen bis zuVanille und Ysop, Zimt und Zitrone.

Im gesamten Mittelmeerraum sowohl im Parfüm als auch in der Küche beliebt ist der konzentrierte Duft von fleurs d’oranger, →Orangenblüten. Entweder in wässriger Form als eau oder in öliger Form als huile de fleur d’oranger, als Orangenblüten-Wasser oder -Öl.

Die Orangenblüten-Essenz bestimmt auch den Geschmack einer Spezialität aus boulangeries (Bäckereien) von Grasse.

Hier wird eine kleinere Variante der fougasse gebacken, dieses in ganz Südfrankreich beliebten, meist herzhaften Hefeteigfladens (→Foix). In Grasse wird daraus eine Süßspeise. Für die

Fougassette de Grasse

wird ein aus Weizenmehl, Olivenöl, Zucker und Ei gekneteter Hefeteig mit Orangenblütenwasser aromatisiert und zu kleinen ovalen Fladen geformt.

Fougassette de Grasse

In die Fougassettes werden, um ein gleichmäßigeres Durchbacken und das spätere Zerteilen zu erleichtern, Löcher geschnitten. Dies sind, nicht nur in frommen Backstuben, oft sieben an der Zahl, die nach christlicher Symbolik die Gesichtsöffnungen (Augen, Ohren, Mund und Nasenlöcher) von Jesus Christus versinnbildlichen sollen. Beim Genuss herrscht glücklicherweise absolute Religionsfreiheit.

Das süße Gebäck nimmt gerne an der Versammlung der treize desserts teil, den 13 Nachspeisen, die das traditionelle provençalische Weihnachtsmenü beschließen, das gros souper (→Aigues-Mortes).