Ulis Culinaria

Flavigny-sur-Ozerain

Anis de Flavigny

un bien bon bonbon

In dem malerischen Städtchen an der Côte d’Or (Bourgogne) werden seit dem 8.Jh.

Anis de Flavigny

hergestellt. Einzelne Samen von Pimpinella anisum werden in meist kupfernen, sich drehenden Kesseln in Zuckersirup gewälzt und wachsen so in rund zwei Wochen Schicht für Schicht zu Bonbons heran, die die verdauungsfördernde Wirkung des Anis mit süßer Nascherei verbinden. Aus den etwa zwei Milligramm des Anissamens werden so runde, glatte Perlen von einem Gramm Gewicht. Das Sirup kann mit Veilchen, Rose, Pfefferminze, Süßholz, Orange oder anderen Zutaten aromatisiert sein.

Die Anispflanze soll hierher gekommen sein, als Caesar einige seiner Offiziere für ihre Verdienste beim Sieg über die Gallier 52 v.Chr. mit Ländereien beschenkte. Caesar hatte damals Anis bereits als gesundheitsförderndes Mittel in seiner Armee eingeführt. Einer der begünstigten Offiziere hieß Flavinius, dessen Landfleck erst Flaviniacum genannt wurde, was dann zum heutigen französischen Ortsnamen wurde.

Zur Zeit von Charlemagne (Karl der Große) wurde hier ein Benediktinerkloster gegründet, dessen Mönche begannen, Anissamen in noch von Hand bewegten Schwenkschüsseln, branlantes genannt (von frz. branler, wackeln, schütteln), mit Zuckersirup zu umhüllen. Nach der Zerstörung des Klosters in der Französischen Revolution 1989 setzten weltliche Fabrikanten die Bonbontradition fort, teilweise bis heute in den Mauern der restaurierten Abtei. Deshalb steht auf manchen der hübschen Döschen auch Anis de l’Abbaye de Flavigny.

A propos hübsche Döschen: Von welchem Produzenten auch immer die Bonbons stammen, ist das gemeinsame Bildmotiv auf dem Deckel stets ein Liebespaar beim Schäferstündchen. Auch als Postkarte, Geschirrdekor oder, wie auf der Abbildung, als Tischplattenmotiv ist die Szenerie beliebt.

Bistrot-Tisch

Ähnlich wie der in vielen Ländern bei Hochzeiten über das Brautpaar geworfene Reis galten ‒ und gelten ‒ die Anisbonbons als Fruchtbarkeitssymbol. Die heute bei allen möglichen Anlässen als Konfetti geworfenen bunten Papierschnipsel haben ursprünglich ähnliche Symbolbedeutung: Ihren Namen haben sie vom italienischen Begriff confetti, was ebenfalls nichts anderes heißt als Konfekt oder eben Bonbon. (Die Papierkonfetti heißen in Italien dagegen coriandoli! →Sulmona). Deutschsprachige Entsprechungen für bonbon findet man im Süden des Landes als Gudsje, Gutsel oder Gutsle. Auch sie werden bei Karnevalsumzügen zur Freude der Kinder von den bunten Wagen herunter im wahrsten Sinne des Wortes verschleudert.

Früher wurden die Anisnaschereien in Kartonschächtelchen verpackt. Die heute üblichen ovalen oder runden Blechdöschen führte man ein, als man für den Verkauf mit Münzautomaten stabilere Verpackungen benötigte. Diese Automaten, von denen einige historische Modelle in der Abtei von Flavigny zu bewundern sind, trugen erheblich zur internationalen Verbreitung der Schleckerei bei. Sie standen beispielsweise in den Bahnhöfen etlicher europäischer Städte.

Häufig wird der Schriftzug Anis de Flavigny mit einem kleinen französischen Wortspiel untertitelt:

un bien bon bonbon,

guterdings ein gutes Gutsel.

Übrigens:

Der Anis, von dem hier die Rede ist, gehört zu den Doldenblütlern und wurde von →Linné Pimpinella anisum getauft. Mit dem Echten Sternanis Illicium verum, der in diesem Lexikon z.B. als weihnachtliches Lebkuchengewürz erwähnt wird, hat er botanisch nichts zu tun.

Sternanis