Ulis Culinaria

Carpentras

Das provençalische Städtchen südwestlich des Mont Ventoux, im Département Vaucluse, ist eines der französischen Zentren für den teuersten Pilz der Welt. Im Hôtel-Dieu von Carpentras findet regelmäßig ein Trüffelmarkt statt, von mindestens so großer Bedeutung wie der in →Richerenches. Es heißt, dass an den Freitagen vom 27. November, dem Namenstag des Ortspatrons St. Siffrein, bis zum beginnenden Frühling ganz Carpentras nach den truffes noires dufte, den schwarzen Trüffeln (Tuber melanosporum), die im Vaucluse rund um den Mont Ventoux aus der Erde gegraben werden.

Die Preise, die auf dem Marché aux truffes de Carpentras für die Edelpilze erzielt werden, gelten als Referenzwert für den gesamten französischen Trüffelhandel. Dabei schwanken die Preise stark, auch zwischen den beiden Abteilungen des Marktes. Hier die professionels, also das verarbeitende Gewerbe, Gastronomen und Zwischenhändler, und dort der Bereich für die particuliers, die Privatkunden. Auch der Verkaufszeitpunkt ist wichtig. Die beste Qualität erreichen die Trüffel in der Regel im Dezember, also pünktlich zu den Feiertagen, vor denen die Nachfrage und damit die Preise eh steigen.

Die schwarze Trüffel - Magie des Geschmacks

Über die erzielten Gewinne bewahren die Händler vornehmes Stillschweigen. Trotz des geheimnisvollen Nimbus‘, der den Trüffelmarkt umgibt, wurden 2006 einheitliche Normen festgelegt, nach denen die Pilze entsprechend ihrer Größe und Beschaffenheit in drei Qualitätsstufen eingeordnet werden. Neben der schwazen Trüffel darf nur noch der Tuber brumale, die Wintertrüffel, auf den Händlertisch. Jede truffe muss brossée extra sein, also mit der Bürste (frz. brosse) sorgsam von jeglichen Erdresten befreit und unbeschädigt. Für Carpentras ist seit dem 12.Jh. das Markrecht verbrieft. Dass hier auch Trüffel gehandelt werden, ist erstmals schriftlich belegt in einer Verfügung von 1781, in der die Polizei mit der Regelung und Überwachung des teuren Geschäfts beauftragt wurde.

Le Marché aux truffes de Carpentras

Offensichtlich gab es auch damals schon Versuche, mit unredlichen Mitteln Handelspartner übers Ohr zu hauen. Bis ins 19.Jh. verkauften die großen Händler des Vaucluse ihre Pilze als Truffes du Périgord. Diese wuchsen zwar nicht in dieser südwestfranzösischen Landschaft, man bediente sich damit aber der Reputation, die dortige Trüffel seit langem besaßen (→Périgueux). Auch deshalb genießt man bis heute die in Carpentras gekauften truffes gerne, indem man sie mit Ente oder Gans und der von ihnen gewonnenen Geflügel-Stopfleber (foie gras) kombiniert, für die das Périgord seit jeher berühmt ist. Deutsche Trüffelhändler bezeichnen generell die schwarzen Pilze als Périgord-Trüffel, die weißen Tuber magnatum dagegen als Piemont-Trüffel (→Alba).

Fraises de Carpentras, Erdbeeren aus dem Garten der Päpste

Ein anderes köstliches, aber ungleich preiswerteres Gewächs ist die Fraise de Carpentras. Mitte des 19.Jhs. wurde im Dreieck von Rhône und Durance, im historischen, zu Avignon gehörenden Kirchenstaatsgebiet Comtat Venaissin, ein weitverzweigtes Kanalsystem angelegt. Der zur Bewässerung der trockenen Böden auf Geheiß von Napoléon III gebaute Canal de Carpentras ist ein Werk von Louis Giraud, der für seine Ingenieursleistung zum Ritter der Légion d’honneur geschlagen wurde. Den Landwirten der Region ermöglichte die Neuerung den Anbau von Früchten, die ohne Bewässerung hier nicht gedeihen könnten. Zu diesen gehören z.B. auch die berühmten Melonen aus →Cavaillon im Süden des Comtat. Die aromatischen Fragaria (Erdbeeren, frz. fraises) der Sorten Gariguette, Pajaro und Ciflorette haben dem Gebiet inzwischen eine Führungsrolle in der fanzösischen Erdbeerkultur eingebracht. Schnellere Transportmöglichkeiten haben die empfindlichen Früchtchen auch über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt gemacht.

Dazu trägt auch bei, dass die Erdbeeren aus Carpentras mit der im Mai abgeschlossenen Ernte relativ früh auf den Markt kommen. 1999 wurde La confrérie de la fraise de Carpentras et du Comtat Venaissin gegründet, die den Ruhm ihrer Erdbeeren bei allen möglichen Messen und Ausstellungen im In- und Ausland tatkräftig vermehrt. Natürlich gekleidet in passenden Farben: Grüne Schürze über erdbeerroter Kleidung. Der Kragen ist geformt wie das grüne Blattkränzchen um den Stielansatz der Früchte. Zum Ernteabschluss veranstaltet die Bruderschaft jedes Jahr Mitte Mai die Fête de la Fraise. Derzeit laufen offizielle Bemühungen, den Status einer IGP zu erhalten.

Wenn sie nicht als Frischobst genossen werden, verarbeitet man die Erdbeeren gerne zu Konfitüren, in der pâtisserie oder bei der Herstellung der überall in Frankreich beliebten berlingots.

Berlingots de Carpentras - Süßes für die Päpste

Und auch hier werden diese tetraederförmigen Bonbons hergestellt und als Berlingots de Carpentras verkauft.

Der Franzose Bertrand de Got war 1305 zum Papst Clément V gewählt worden und hatte 1309 im Zuge der Auseinandersetzungen mit dem Ordre des Templiers seinen Sitz von Rom ins Venaissin verlegt. Er war damit der erste von sieben Päpsten, die →Avignon, gut 20km südwestlich von Carpentras, als Papstresidenz nutzten. Zur Feier der Auflösung des Templerordens fertigte der Zuckerbäcker Sylvestre in Carpentras eine Puddingspeise mit viel Karamell. Weil er noch etliches von der Zuckermasse übrig hatte, zog er sie, noch heiß und formbar, zu langen Strängen aus, die er mit der Schere im 45°-Winkel in kleine Stücke schnitt. Da er dabei den Zuckerstrang nach jedem Schnitt um eine Viertelumdrehung zwischen den Fingern rollte, entstanden die typischen kleinen Tetraeder. Sylvestre widmete die Karamellbonbons honneur à Bertrand de Got, zu Ehren des Papstes. Aus sprachlicher Verschleifung des Namens im provençalischen Dialekt soll das Wort ber-lin-got entstanden sein.

So die Etymologie in Carpentras, die aber auch nur eine von mehreren möglichen Erklärungen darstellt. Als sprachliches Vorbild könnte auch ein aus Leder genähtes tetraederförmiges Behältnis gedient haben, das man schon im Mittelalter unter der Bezeichnung berlingot als Geldbeutel verwendete.

Wieder andere Küchenetymologen beziehen sich auf Süßspeisen, die man in der italienischen Region Toscana zum Fastnachts-Donnerstag zubereitete. Das waren zwar eher Backwerke aus Teig, aber man nannte sie berlingozzi nach dem berlingaccio, dem Fest am giovedi grasso (Fetter Donnerstag).

Jedenfalls ist heute caramel noch eine von vielen Geschmacksvarianten, die man bei den berlingots de Carpentras im Angebot hat.

Schon Sylvestre selbst soll den Zucker mit menthe und citron aromatisiert haben. Man hat die Wahl zwischen verschiedenen Früchten wie der oben beschriebenen fraise de Carpentras, dazu orange, cerise oder melon. Außerdem café, chocolat, lavande, violette und sogar cola. Alle natürlich entsprechend gefärbt und mit typischen feinen weißen Linien überzogen. Das Streifenmuster entsteht, wenn verschieden gefärbte heiße Zuckerschnüre miteinander verdreht werden.

Diese artistisch anmutende Zucker-Jonglage kann man vielerorts direkt in der Zuckerbäckerei bewundern – und manchmal sogar selbst ausprobieren. Eventuell verbrannte Finger inklusive, aber in jedem Fall ein süßes Vergnügen.