Ulis Culinaria

Caprauna

Auf Höhen bis zu 1.500m wird um das Dorf in den italienischen Alpi Marittime (Seealpen) des südwestlichen Piemonte die

Rapa di Caprauna

(→PAT und →SF) angebaut, eine kleine, vielseitig verwendbare Rübe (it. rapa). Für das feine, nussig-süßliche Gemüse haben die Bauern über die Jahrhunderte an den Steilhängen von Trockenmauern gestützte Terrassen angelegt, die das Landschaftsbild prägen. Meist dem Meer im Süden zugewandt, erhitzt sich hier die Erde in der Sonne und bietet den Rüben ideale Wachstumsbedingungen. Diese wurden zusätzlich durch die untergegrabenen Stoppeln der Getreide verbessert, die vorher auf den Terrassen geerntet worden waren.

La Rapa di Caprauna

Die leicht abgeflachten Kugeln sind vergleichbar mit den französischen navets (→Nevers) oder auch den weißen Rübchen aus dem norddeutschen →Teltow.

Im Oktober, zur Erntezeit, besuchen Feinschmecker aus nah und fern die Fiesta della rapa, um die vielen kulinarischen Möglichkeiten des Erdgewächses zu erkunden.

Die rapa bianca di pasta gialla aus Caprauna, wie sie wegen ihrer weißen Außenhaut und ihres gelben Fleisches auch genannt wird, gehört unbedingt zur typisch piemontesischen bagna cáuda (oder auch caôda geschrieben), einer warmen Creme aus eingelegten acciughe (Sardellen), Knoblauch und Olivenöl.

La bagna cáuda

In den alpinen Regionen des nördlichen Piemont, in denen Milchwirtschaft vorherrscht und Olivenbäume schlecht gedeihen, wird das Öl gerne durch Butter ersetzt oder die Sauce mit Sahne angereichert. In fröhlicher Tischrunde tunkt man in dieses heiße Bad (it. bagno caldo) Stücke von verschiedenen rohen, blanchierten oder gegarten Gemüsen.

Hierzu zählen neben der rapa Topinambur, Gemüsepaprika, Karotten, Stangensellerie, der cardo gobbo aus →Nizza Monferrato und viele mehr. Piemonteser meinen: Con la caoda bagna ogni verdura as cumpagna (bei der Bagna cáuda ist jedes Gemüse ein guter Begleiter). Die salsa wird auf dem Tisch im fojót warmgehalten, einem irdenen, glasierten Topf, dessen unterer Teil einen offenen Hohlraum bildet, in dem früher Holzkohle glühte. Heute brennt darin meistens ein Teelicht. In den wenigsten Haushalten, selbst im Piemont, ist noch ein echter fojót vorhanden, es schmeckt aber genausogut aus dem handelsüblichen Fonduetopf mit Rechaud, den man z.B. in der Schweiz für Käsefondue nimmt.

Ursprünglich war die Bagna cáuda die gemeinschaftliche Abend-Mahlzeit der Erntehelfer am Tisch des Bauern. Heute nutzt man das Mahl als geselliges kulinarisches Vergnügen wie Fondue oder Raclette. Im Unterschied zum Fleischfondue dient die Sauce nicht zum Garen, sondern als herzhafte Tunke. Die Verwendung der Anchovis soll daher rühren, dass man die früher sehr hohe Salzsteuer umgehen wollte.

Wenige Kilometer weiter westlich in der südfranzösischen Provence genießt man das piemontesische Mahl als anchoïde. Und beansprucht natürlich die Erfindung für sich! Tatsächlich meinen manche Küchenhistoriker, die im Mittelmeer gefangenen und eingesalzenen Sardellen, frz. anchois, seien erst mit den Meersalztransporten aus der Camargue (→Aigues-Mortes) nach Osten ins Piemont gelangt.