Ulis Culinaria

Cannara

An kaum einem anderen Ort des italienischen Stiefelschaftes kann man weiter vom Meer entfernt sein als hier, in der Provinz Perugia im Herzen der küstenlosen Region Umbria. Der Ortsname ist abgeleitet von einer im ganzen Mittelmeerraum verbreiteten Schilfart, die im Italienischen canna (Rohr) genannt wird. Auch im Tal des Flüsschens Topino, an dem Cannara liegt, wächst das große Gras.

la Cipolla di Cannara

Jedes Jahr gehören die beiden ersten Septemberwochen in dem 4.000-Einwohner-Dorf aber einem anderen Gewächs, nämlich dem Allium cepa, der Zwiebel. Ein eigenes →consortio veranstaltet seit 1981 zu Ehren der

Cipolla di Cannara

(→PAT) die Festa della cipolla, das Zwiebelfest, bei dem, umrahmt von viel Musik, Theater und Folklore, die kulinarische Vielfalt des Vielhäuters voll ausgekostet wird. Ihr volles Aroma verbreiten die Zwiebeln in fein geschnittenen Ringen als Belag auf einer ofenfrischen →focaccia.

Die Zwiebelgerichte werden meist begleitet vom zweiten wichtigen landwirtschaftlichen Produkt des Ortes, dem DOC-Rotwein Vernaccia di Cannara. Entstanden ist das Fest aus den geselligen Zusammenkünften, bei denen man seit dem 17.Jh. die frisch geernteten Zwiebeln zu großen Zöpfen (trecce) gebunden hat, um sie in gut durchlüfteten Schuppen hängend lagern zu können. Stolz präsentieren die cipollicoltori, die Zwiebelbauern von Cannara, ihre Produkte auch alljährlich beim traditionellen festlichen Markt zu Ehren des italienischen Schutzheiligen San Francesco im unweit gelegenen Assisi.

Im Unterschied zu anderen lokalen landwirtschaftlichen Produkten ist es in Cannara nicht eine bestimmte Sorte, die den Ausschlag gibt. Vier hier kultivierte Zwiebelvarietäten, zwei weiße und zwei rote, werden von →Slow Food als Arca del Gusto geehrt. Ihre besondere Qualität wird vor allem auf die lehmigen, wasserreichen und kaliumhaltigen Böden in der bergigen Region zurückgeführt. Zudem haben sich in den Jahrhunderten spezielle, nur in Cannara praktizierte Anbaumethoden entwickelt. Eine der beiden roten Sorten wird z.B. auch in der süditalienischen Region Calabria als Cipolla rossa di →Tropea mit →IGP angebaut, schmeckt dort aber deutlich anders – was nicht schlechter heißt!

Im italienischen Wort cipolla für die Zwiebel steckt übrigens noch der etymologische Ursprung. Es hat sich aus der Verkleinerungsform cepula des spätlateinischen cepa gebildet, das auch im botanischen Namen enthalten ist. Cepa bezeichnet allgemein eine Zwiebel, also auch das im Aufbau ähnliche unterirdische Speicherorgan von nicht verwandten Pflanzen wie z.B. der lilienartigen Tulpe. Zur hier gemeinten Küchenzwiebel wird die cepa durch den Vorsatz allium, der im Lateinischen Lauch bedeutet wie beim Allium sativum, dem Knoblauch (→Lautrec).